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Blogpost aus Mora


2025-05-09

Schulbesuch im Naturkundemuseum - Kapitel 3 - Teil 2

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Wie schon seine beiden Kommilitonen zuvor, zentrierte Petrus seine kleine Führung auf ein Exponat, welches sich in diesem Fall aber aus mehreren zusammensetzte. Denn während die Hallen der Jurazeit und der Magizeit von gigantischen Vertretern präsentiert wurden, hatte man sich hier in dem Saal der Abstammung des Menschen für eine Versinnbildlichung eben jener entschieden. Somit standen in der Mitte auf einem leicht erhöhten Podium mehrere Skelette auf Abstammungslinien angeordnet. Insgesamt konnte man vier dieser Linien sehen, welche nach und nach sich von einer Urlinie abspalteten. Wenn man vor den vier Enden dieser Linien stand, so erblickte man ganz links die etwas zur Seite geworfen wirkende Linie der Menschenaffen, welche an der Spitze von dem auf den Knöchelgang heruntergebeugten Skelett eines Schimpansen präsentiert wurde. Hinter jenen standen auf der Linie noch zwei weitere fossilisierte und deshalb leicht leuchtende Skelette von ausgestorbenen Arten, die aber, soweit Petrus’ studentisches Wissen reichte, im wissenschaftlichen Kontext nicht als die direkten Vorfahren des Schimpansen angesehen wurden. Vermutlich nutzte das Museum jene Exponate, welche sie hatte, um dieses inakkurate Sinnbild zu erstellen. Was Petrus nicht behagte, auch wenn er nicht dessen Anschaulichkeit leugnen konnte. Aber genau solche Ungenauigkeiten durch fahrlässige Versinnbildlichung führten dazu, dass die Öffentlichkeit falsche Vorstellung von der Evolution bekam.
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Diese freizügige Auswahl setzte sich auch bei den drei restlichen Linien fort, die am gleichen Punkt aus der Urlinie emporsprangen, außer bei der einen, welche den Riesen gewidmet war. Denn bei der stand allein das drei Meter große Skelett eines halbwüchsigen Nordischen Bergogers. Vermutlich hatte man aus Platzgründen sich für das einzelne Skelett einer Unterart jener Riesen-Art entschieden, welche eigentlich eine Durchschnittsgröße von vier Metern erreichte und dementsprechend auch eine enorme Breite aufwies. Auch die Skulptur eines Eigentlichen Riesen – jene welche die Kinder so sehr mit ihrem Phallus erheitert hatte – reichte gerade so an die fünf Meter hohe Decke, obwohl die Art der Eigentlichen Riesen bis zu acht Meter groß werden konnte. Damit musste man sich wohl aber abfinden, da die beiden großen Hallen des Naturkundemuseum eben bereits von den schrecklichen Echsen und den Turmköpfe belegt wurden.
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Diese Auswahl empfand Petrus als etwas ungünstig, denn so konnte den Kindern nicht so stark veranschaulich werden, wie weit die Arme des Baumes des Lebens auseinandergehen und doch eng zusammenbleiben können. Denn das Skelett am Ende der Troll-Gattung-Linie, die eines ausgewachsenen Waldtrolls, wirkte mit seinen etwas mehr als zwei Meter nicht wesentlich kleiner als der Oger, sodass es nicht auf einen Blick ersichtlich wurde, dass es sich hier um zwei verschiedene, wenn auch nah verwandte Gattungen handelte.
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Deshalb lenkte Petrus die Aufmerksamkeit der Schüler auf den Knochenbau der beiden Skelette und erläuterte, wie die Knochen des Trolles zwar größer waren als die des Menschen – welcher am Ende der Linie der Homo-Gattung stand – oder die des Schimpansen, aber sich von den Proportionen nicht zu stark unterschieden. Natürlich gab es offensichtliche Unterschiede in der Schädelform, in den Proportionen der Gliedmaßen und darin, dass der Troll einen sichtlich größeren Brustkorb hatte. Doch im direkten Vergleich sah man, dass, während die Beinknochen bei Troll, Affe und Mensch so dick wie stabile Äste waren, die bei dem Oger die Stämmigkeit von Jungbäumen besaßen, sodass die Hüftknochen deutlich breiter sein mussten, um den Schenkeln genügend Platz zu bieten. „Wie ihr also erkennen könnt, mussten Riesen sich über Generationen hinweg an ihre eigene Größe und enormes Körpergewicht anpassen, indem ihre Knochen massiver wurden. Wobei ihr gewaltiger Wuchs selbst natürlich ebenfalls eine Anpassung darstellt, denn wenn man der Größte ist, hat man wenig Fressfeinde. Eine ähnliche Entwicklung vollführte auch der Elefant“, erklärte Petrus den aufmerksamen Schülern. „Solltet ihr am Ende eures Ausfluges noch etwas Zeit finden, seht euch das Skelett des Elefanten im Aphrike-Saal an. Ihr werdet Gemeinsamkeiten sehen können.“
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„Und warum …?“ entfuhr es Gabriel, doch dann schloss er hastig seinen Mund und erhob brav die Hand zur Meldung. Zufrieden lächelte Petrus darüber, dass der Junge ihre Absprache einhielt, und nahm ihn dran, worauf dieser fragte: „Wenn Riesen und Elefanten so ähnlich sind, warum denken Sie dann nicht, dass Riesen von Elefanten abstammen?“ Etwas Gelächter brach in der Klasse aus, doch Petrus durchschnitt es mit kräftigem Wort: „Da gibt es nichts zu belächeln. Denn Gabriel stellt hier eine sehr gute Frage.“ Tatsächlich ließ dies die Klasse sofort verstummen und große Kinderaugen starrten ihn erstaunt an. Auch die von Gabriel, wohl nicht ein Entgegenkommen erwartet habend. Diese seltene Stille nutze Petrus sogleich aus: „Ihr habt in eurem Unterricht gelernt, dass Evolution durch Anpassung erfolgt. Durch Mutationen, ergo zufällige, angeborene körperliche Merkmale, durch die ein Lebewesen besser überleben kann. Oder auch nicht, wenn diese Mutationen nachteilig sind. Jene, die überleben, geben ihr Blut und damit ihre Merkmale an ihre Nachkommen weiter, womit die Anpassung vorangebracht wird. Anhand dieser Kette von weitergegebenen Merkmalen konstruieren Paläontologen die Äste des Baumes des Lebens. Doch wenn wir uns also die Äste und damit die Verwandtschaft verschiedener Arten anhand ähnlicher Merkmale erschließen, warum sitzen dann Riesen und Elefanten trotz ihres ähnlichen Knochenbaues auf zwei, weit auseinander liegenden Ästen? Welche nur, da beide Arten Säugetiere sind, ein gemeinsames Entspringen in Form eines weit entfernten Vorfahren haben. Es gibt zudem noch auffälligere Beispiele, wie zum Beispiel Vögel und Fledermäuse. Beide Arten mit Flügeln, aber noch ferner verwandt.“
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„Aber ihre Flügel sind vollkommen anders“, entfuhr es dem Fuchsmädchen. „Die einen haben Federn, die anderen sind eine Lederhaut.“ Ihre spitzen, orangenbraunen Ohren zuckten und sie murmelte verlegen: „Entschuldigung.“ Doch Petrus nickte nur anerkennend: „Du schlägst damit schon den Nagel auf den Kopf. Obwohl die Flügel beider Arten dem Fliegen dienen, könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Eine Verwandtschaft erscheint da unwahrscheinlich, weshalb man von einer Konvergenz ausgeht.“ „Konvergenz?“, drückte das Fuchsmädchen die von der Klasse geteilte Verwirrung aus, worauf Petrus sich genötigt sah, den Begriff zu erläutern: „Es bedeutet ungefähr ‚sich zueinander neigen‘ und damit sind Prozesse gemeint, die zwar von verschiedenen Ausgangslagen beginnen, aber dasselbe Endziel teilen.“ Die Kinder sahen jetzt noch verwirrter aus und Petrus realisierte, dass Konvergenz ein schwieriger Begriff war, dessen sinnliche Bedeutung selbst für ihn schwer in einfachen Worten zusammenzufassen war. Doch glücklicher kam ihm der Lehrer zur Hilfe: „Stellt euch einen großen Berg vor. An der Nordseite ist ein Bergsteiger und an der Südseite ist ein anderer. Beide wollen hoch zum Gipfel und beginnen nun zu klettern. Ihre Aufstiege beginnen an zwei verschiedenen Seiten, haben also zwei verschiedene Anfänge. Damit werden sie auch mit unterschiedlichen Hindernissen konfrontiert werden, denn kein Abhang ist wie der andere. Doch die beiden Bergsteiger werden sich hoch oben am Gipfel treffen, denn sie haben dasselbe Ziel.“ Erleichtert nahm Petrus das Aufleuchten der Kindergesichter wahr und warf dem Lehrer einen dankbaren Blick zu, verstehend, dass es eine Kunst in sich war, Grundschulkindern komplexe Themen nahezubringen. „So muss es auch den Vorfahren der Fledermäuse und Vögel ergangen sein. Beide Arten ergatterten sich einen Überlebensvorteil, indem sie sich in die Lüfte erhoben, beide Flügel auf ihre eigene Art und Weise entwickelnd. Ähnlich erging es auch den Riesen und Elefanten, ihr Überleben durch einen Riesenwuchs zu sichern.“ „Haben deshalb Riesen keine Zehen?“, fragte das Fuchsmädchen. „Wie Elefanten?“ „Korrekt“, nickte Petrus. „Wie beim Elefantenfuß stecken die Fußknochen beim Riesen ebenfalls in einem dicken Fettpolster, sodass man allein die Zehnägel erkennen kann. Vermutlich ist diese massige, runde Form des Fußes notwendig, um, wie beim Elefanten, das enorme Körpergewicht besser auszubalancieren.“

Der nächste Teil der Geschichte wird in zwei Wochen, am 23. Mai 2025, veröffentlicht.

Admin - 07:37:42 @ Naturkunde, Erzählung | Kommentar hinzufügen

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