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Blogpost aus Mora


2023-09-29

Hiti und die Tieflinge - Teil 2

1
Nachdem das Männchen verschwunden war, verfiel Hiti in ein Trübsal so tief wie seine Heimat. Er wusste, dass dies alles unabwendbar war und dass er nichts tun konnte. Somit blieb ihn nichts anderes übrig, als seine Existenz fortzuführen und das Leben mit den Tieflinge zu genießen, solange er konnte. Jedoch entging seinen Freunden nicht, dass sich etwas verändert hatte. Zwar hatten sie nicht hören können, was das seltsame Männchen Hiti mitgeteilt hatte, doch das Wesen ihres Freundes und Beschützers hatte sich merklich geändert. Die Schlange schwamm weniger und ließ sich zumeist dahintreiben. Seine Freude über die Gesänge und Tänzen flautete ab. Und das allerschlimmste: Sein Appetit verringerte sich, denn immer mehr überließ der den Tieflinge von dem Fleisch der von ihm erjagten Seeungeheuer. Mehrmals fragten die Tieflinge, wo sein Kummer denn läge, doch jedes Mal versicherte Hiti ihnen, dass nichts im Argen lag.
2
So verstrichen erneut die Äonen, ohne dass sich Hiti wieder aus ganzer Seele erfreuen konnte. Dies ließ seine Wachsamkeit abstumpfen, sodass er nicht der Argwohn anfiel, als er etwas vor sich im Wasser treiben sah. Zwar bemerkte er, dass es sich zu einem um ein Stück Fleisch handelte von einem Tier, dass er nie zuvor gesehen hatte. Und dass es an einem sehr langen Seil gebunden war. Doch Hiti dachte an diesen Tagen nicht viel und biss einfach zu. Nur um dann mit derselben ungeheuren Kraft hochgezogen zu werden, wie an diesen einen verhängnisvollen Tag. Denn er hing dem angelnden Thor am Harken, der ihn mit einen gewaltigen Stierkopf geködert hatte. Zuerst wehrte sich Hiti und versuchte loszulassen, doch die Hörner des Stieres hatten sich in seinem Rachen verkeilt. Jedoch begann das Seil von zwei göttlichen Kräften in entgegengesetzte Richtungen gezogen an zu brechen und wurde vermutlich reißen, wenn der Wettstreit noch lange anhielt. Doch dann kam Hiti ein Gedanke: Was, wenn er sich einfach hochziehen ließ und gegen Thor kämpfen würde? Wenn er den finalen Kampf antrat und wie prophezeit die Welt zerstörte? Vielleicht, wenn auch nur vielleicht konnten die Tieflinge überleben. Denn das Schicksal sagte nichts Konkretes darüber, dass sie als Volk sterben mussten. Wenn Hiti sich also jetzt Thor stellte, bevor dieser ihm ein Grund für Rache gab, so würde der Donnergott keine Jagd auf die Tieflinge veranstalten können. Zwar wusste Hiti, dass das Ende der Welt auch die Tieflinge heimsuchen würde, aber vielleicht, wenn auch nur vielleicht konnten sie in der Untiefe so lange überleben, bis irgendein Gott eine neue Welt erschuf. Mit diesen Gedanken gab Hiti nach und ließ sich nach oben ziehen, fest entschlossen, Ragnarök loszuschlagen. Doch die Tieflinge, als sie ihren Freund davongezogen sahen, schwammen hinterher und warfen sich auf das Seil, mit Steinwerkzeuge auf es einschlagen. Sie ließen nicht einmal los, als Hiti hinauf in Gewässer gezogen wurde, wo ihre Körper begannen zu zerbrechen. Realisieren, dass sie drohten zu sterben, zog Hiti wieder mit ganzer Kraft entgegen und gelangte zurück in die Tiefe, wobei das Seil riss.
3
Als sich die Aufregung gelegt hatte, forderten die Tieflinge von Hiti Antworten, denn es war ihnen nicht entgangen, dass ihr Freund sich zumindest für einen Moment hingegeben hatte, anstatt zu kämpfen. Hiti sah sich gezwungen, ihnen die Wahrheit zu sagen. Ihnen zu zeigen, was vor ihnen lag. Doch anstatt wie er in tiefer Verzweiflung zu fallen, überraschten sie ihn mit Entschlossenheit fester als der Meeresboden. Anstatt Thor zu fürchten, sagten sie ihm den Kampf an. Hiti versuchte fassungslos ihnen vermeintlichen Sinn einzureden. Sie davon zu überzeugen, dass es besser wäre, wenn er sich Thor stellen würde, während sie sich versteckten. Doch die Tieflinge verharrten, denn ohne Hiti würde alle Wärme aus ihrem Leben verschwinden. Sie würden wieder, wie ihre Vorfahren durch die kalten Untiefen huschen, sich vor allem fürchten müssen. Während auf ihnen die Schuld wiegen würde, dass sie ihren Freund in Stich gelassen hatten. Dies wäre unertragbar, weshalb die Tieflinge sich für den Kampf entschieden.
4
Unfähig seine Freunde zu überzeugen, beschloss Hiti, die Angelegenheit einfach ruhen zu lassen, darauf hoffend, dass die Tieflinge zur Einsicht käme, bevor Thor sich für den finalen Kampf zeigen würde. Doch die Tieflinge beließen es nicht bei Gesängen, sondern gingen zur Tat über. Sie wussten zwar nicht, wie mächtig dieser Thor sein soll, doch der Umstand, dass er mit Hiti ringen konnte, zeigte, dass er mächtiger sein musste als die Seeungeheuer, die Hiti regelmäßig für die Tieflinge erjagte. Wenn sie sich also mit einem Gott messen wollten, mussten sie zuerst die Ungeheuer besiegen können. Als Hiti realisierte, dass seine Freunde tatsächlich auf die ungeheure Jagd gehen wollten, etwas, was ihr Volk noch nie getan hatte, sang er lange und heftig auf sie ein, doch die Tieflinge gaben nicht nach. Hiti begann sogar, sie zu beschimpfen, und hörte auf, mit ihnen zu reden oder ihren Tänzen beizuwohnen. Dies brachte aber nicht die Tieflinge von ihrem Vorhaben ab und somit kam der Tag, an dem Hiti ihnen dabei zusah, wie sie zur Jagd aufbrachen. Er wusste, dass sie mit ihren Steinwerkezuge und ihren Schuppenschilde keine Chance gegen selbst die kleinsten Seeungeheuer hatten. Ein Teil von Hiti wollte sie aber einfach gewähren lassen, ihnen eine Lektion erteilen. Doch sein anderer Teil konnte nicht tatenlos zusehen und gewann die Oberhand.
5
Äußert erschreckt hielten die Tieflinge innen, als Hiti seinen massigen Leib gegen eine Felsformation schleuderte, die zwar unter seiner ungeheuren Kraft zerbrach, jedoch dabei seine Schuppen zerschmetterte und ihn eine gewaltige klaffende Wunde zufügte. Anschließend schwammen die Tieflinge entsetzt zu ihrem Freund, der sich im von seinem Blut durchtränkten und mit Schuppensplitter gespicktes Wasser windete. Hiti war immer der Stärkste gewesen und niemand hatte ihn solch eine Wunde zufügen können, weshalb der enorme Schmerz neu für ihn war. Doch rasch erholte er sich und sprach zu den Tieflinge, ihnen seine stählernen Schuppen als Schutz anbieten. Anschließend wiederholte er, nach etwas Zögern, den Akt, diesmal mit seinem Maul, sodass mehrere seiner alles zerschneidenden Zähnen ausgeschlagen und zerbrochen wurde, damit die Meermenschen sie als Waffen nutzen konnten. Die Tieflinge, zuerst perplex, dann gerührt, nahmen seine Gaben dankbar an, schwammen dann aber in ein paar Problemen: Die meisten Bruchstücken erwiesen sich als zu groß und zu schwer, um von einen Tiefling gehalten zu werden. Selbst wenn sie aber die richtige Größe hatten, so erwies sich ihre Form unhandlich. Die Härte der Schuppen und Zähnen verhinderte aber zugleich auch, dass sie wie Steinwerkzeuge zurechtgeschlagen werden konnten. Jedoch war die Lösung für diese Probleme viel näher als gedacht, denn einige der Tieflinge merkten, dass Hitis Blut kochend heiß aus den Wunden austrat und dass man in dessen Hitze die Schuppen und Zähnen erwärmen und anschließend formen konnte. Es bedurfte einige Zeit an Experimentieren sowie nicht wenige verbrannten Flossen, bis die Tieflinge einen Prozess entwickelt hatten, bei denen sie mit rohen Werkezuge aus Schuppen und Zahn andere Stück im Blutfluss zerteilen und umformen konnten. So erschufen sie ihre ersten simplen Schilde und Klingen. Zudem bemerkte sie, dass das Blut, wenn es im kalten Wasser der Untiefe erkaltete und gerann, dass es eine durchaus schmackhafte Delikatesse mit einer gewissen innigen Wärme ergab. Hiti, der wusste, dass man in einer kargen Umgebung wie die Untiefen alles zum Überleben verwenden musste, erlaubte seinen Freunden, sein Blut zu essen.
6
Letztendlich nahmen die Tieflinge den zweiten Versuch für ihre Jagd in Angriff, gerüstet mit Hitis Schuppen und Zähnen. Die Schlange durfte ihnen folgen, musste ihnen aber versprechen, nicht in die Jagd einzuwinden. Als Beute hatten die Tieflinge eine Riesenkranke auserkoren. Ein Ungeheuer mit acht Tentakeln, welches aber gewöhnlicherweise nicht Jagd auf die Tieflinge machte. Der Grund zeigte sich, als die Jagd begann: Den langen, kräftigen Tentakeln konnten gut andere Meerungeheuer gleicher Größe niederringen und zerquetschen, doch das Fangen kleiner, raschen Schwimmer wie die Tieflinge erwies sich als unmöglich. Hiti erkannte, dass seine Freunde große Weisheit in der Wahl ihrer ersten Beute bewiesen. Zudem zeigten sich, dass sie all ihr Wissen über die Seeungeheuer, die sie über Generationen gesammelt hatten, um besser zu entfliehen, nun in eine einzigartige Waffe schmieden konnten. Denn die Tieflinge hatten sich in drei Gruppen geteilt: Die erste hielt lange Splittern von Hitis Zähnen, die sie mit Seetang umwickelt hatten, um sich nicht zu schneiden. Jene Mutige lenkten die Aufmerksamkeit des Kranken auf sich, in dem sie ihre Splitter in seinen empfindlichen Augen und in die Saugnäpfe an seinen Tentakeln stachen. Dies verletzte den Kranken zwar nicht sonderlich, doch der Schmerz lenkte ihn von der zweiten Gruppe ab, die mit groben, gebogenen Zahnsplitter bewaffnet waren. Diese warteten auf einen geeigneten Moment, der kam, wenn der Tintentisch mit einen seinen Tentakeln zuschlug. Oftmals verharrte dieser Tentakel kurz, was die Tieflinge ausnutzten, um an ihn rasant heranzuschwimmen und das Fleisch rasch mit ihren gebogenen Klingen zu aufzuschneiden, bevor der Krake wiederzuschlug. Die Tieflinge wussten, dass sie den Kraken nicht erschlagen konnten, weshalb sie ihn ausbluteten. Jenes Ausbluten erweis sich als der Grund dafür, warum es einer dritten Gruppe bedurfte. Jene waren mit Schildern aus den Schuppen Hitis sowie gebogenen Zahnsplitter bewaffnet und warteten scheinbar tatenlos etwas entfernt von der Jagd. Ihre Aufgabe verstand Hiti erst, als sich viele kleine Ungeheuer der Untiefen zeigten, angelockt von dem vielen ins Wasser gleitende Blut des Kraken und entschlossen, den Tieflinge ihre Beute streitig zu machen. Doch mit ihren Schildern konnten die Tieflinge die Bissen, Schläge und Stiche abwehren, während sie Haut und Schuppen wie Papier durchschnitten.
7
Lange wehrte sich der Krake, doch sein Lebenssaft ging langsam, aber stetig zu Neige, sodass er letztendlich leblos im Wasser schwebte. Hati erlaubte sich, nun näher zu kommen, um die kleinen Ungeheuer durch seine Präsenz zu vertreiben, damit die Tieflingen ihren Sieg besingen konnten. Er war stolz, doch sein Herz wogte auch schwer: Einige der Tieflinge hatten sich in der Hitze der Jagd verschätzt und waren entweder von einen der Tentakel erschlagen worden oder waren von dem riesigen Maul erwischt worden. Hati trauerte, doch er akzeptierte, dass die Tieflinge diese Opfer nicht nur für sich, sondern auch für ihn erbringen hatten.

Teil 3 erscheint am 13. Oktober 2023

Admin - 10:03:57 @ Mythen, nordische Kultur | Kommentar hinzufügen