2023-10-27
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All dies beschleunigte den Wissendurst der Tieflingen. Immer mehr lernten sie von den Menschen, vor allem als weitere Meermenschen geboren wurden, die tief ins Land zogen, um bei verschiedenen Meistern als Gesellen anzufangen. Mit handwerklichem Wissen im Kopf kehrten sie zurück an die Küste, um ihren Brüdern und Schwestern zu lehren. Was Hiti etwas unter Zugzwang setzte, denn er sah auch die Meermenschen als seine Freunde an. Welche aber nicht zu ihm herunter in die Tiefe konnte. Somit entschied er sich, an die Oberfläche zu kommen. Inzwischen waren alle Tieflingen von seinem Blut gestärkt worden und es gab genug Sonnenbrillen für alle. Somit tauchte er auf, sehr zum Schreck der menschlichen Seefahrer, und schwamm durch die Meere wie eine wandernde Insel. Zumindest ein Stück von ihm immer. Wäre er ganz aufgetaucht, er hätte den gesamten Seehandel lahmgelegt. Doch auch wenn nur sein Kopf und ein Stück seines Halses hervorlugen, so bot er nun eine Zuflucht über dem Wasser an. Welche die Tieflinge und Meermenschen zu seiner Überraschung sogleich nutzten, um eine Stadt zu errichten. Denn einige Meermenschen waren bei Steinmetzer in die Lehre begangen und als sie den aufgetauchten Hiti ansichtig wurde, überkam ihnen eine sowohl großartige als auch größenwahnsinnige Idee. Denn sie erinnerten sich an etwas, was ihnen andere Tieflinge erzählten: Beim Herumprobieren merkten sie, dass Steine, Korallen und andere Materialien mit Hitis Schuppenhaut verwachsen konnten, wenn man sie mit seinem Blut bestrich. Bislang erwies sich dies als nur eine Kleinigkeit, welche die Tieflinge bislang nutzten, um mit Hitis Erlaubnis Mosaike in seine Haut einzufügen, die von ihrer gemeinsamen Geschichte berichteten. Doch nun schwammen diese Meermenschen daher und schlugen vor, ganze Steinblöcke in Hitis Körper zu schieben, um eine Stadt zu errichten. Zum ersten Mal zögerten die Tieflingen und nicht wenig. Bislang hatten sie ihr Leben und Wohlergehen auf das Spiel gesetzt, um voranzukommen. Doch Hitis Wohl war ein hohes Gut, welches sie nicht leichtfertig verspielen wollten. Zu ihrer Überraschung aber sagte Hiti zu, denn inzwischen hatte die Lust nach Fortschritt auch ihn angesteckt.
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So begannen die Tieflinge und Meermenschen, Steinblöcke auf dem Land und in der Untiefe zu schlagen. Während die einen mit gekauften Schiffen der Menschen zu Hiti gebracht wurden, so nutzten die Tieflinge domestizierte Seeungeheuer, um die Steine hochzubringen, wobei sie ihre Nutztiere in eine Art Kette anordnete, sodass keine dieser an zu geringer Tiefe verstarb. Rasch waren die ersten Wände und Säulen errichtet, wobei man eine weitere wunderbare Eigenschaft von Hitis Blut bemerkte: Wenn man die Steine mit es bestrich und sie zusammenfügte, wurden sie eine Einheit, so als hätte man sie aus einem Felsen geschlagen. Dies bedeutete, dass die errichteten Gebäude nicht gleich zusammenstürzten, wenn Hiti sich einmal reckte. Nach und nach wuchs eine Stadt auf seinen Hals, die mehr als nur eine Heimat wurde. Die Tieflingen und Meermenschen errichteten Werkstätten, in denen sie mit den Schuppen und Zähnen Hitis experimentierten und versuchten, es mit verschiedenen Metallen zu binden, um neue Legierungen zu entdecken. Bibliotheken wurden gegründet, in denen nicht nur von den Menschen erhandelten Bücher aufbewahrt wurden, sondern auch welche von Tieflingen und Meermenschen, die erstmal ihre Wünsche und Ängsten, Träumen und Befürchtungen auf Papier verfassten, anstatt sie in Steintafeln zu ritzen. Zudem gruben sich die Tieflingen tief in das harte Fleisch Hitis hinein, um ihre Toten in Krypten zu bestatten, sodass sie nun, anstatt wie früher dem Meer und seinen unzähligen Mäulern überlassen zu werden, für immer mit Hiti zusammen sein konnten. Die wichtigste Infrastruktur wurde aber die Schuppenbrüche und die Zahnminen, in denen die Tieflingen ihre Materialien auf eine Art und Weise abbauen konnten, die für Hiti deutlich weniger schmerzhaft war, als sich gegen Seefelsen zu werfen. Natürlich fing man dabei auch das Blut ein und leitete es über Kanäle in die Behausungen, sodass jeder von es kosten konnte. Allerdings erwies sich, dass selbst kleinen Wunden eines Gottes mehr bluteten, als die Tieflingen trinken konnten. Es schien zu schade den Lebenssaft einfach ins Meer zu schütten, weshalb man Thermen errichtete, in denen man im Blut baden konnte.
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Es dauerte nur eine Handvoll Generationen bis der Hals vollgebaut worden war und die Tieflinge das nächste Stück von Hitis langen Körper besiedeln wollten. Doch bevor dieser es gestattete, riet er, hinter der ersten Stadt nicht weitere Vierteln, sondern eine Festung zu errichten. Denn trotz all dieser Äonen hatte Hiti nie die prophezeite Bedrohung durch Thor vergessen. Zudem hörte er Beunruhigendes über die Menschen, denn sie waren zerstritten und zersplittert: Die an der Küste lebenden handelten nur zu gern mit den Tieflingen und sahen sie als ihre Freunde an. Doch für die Menschen im Landesinneren stellten die Tieflingen fremde Monster dar, die sie fürchtete. Vor allem die Meermenschen wurden in ihren Städten verfolgt. Hiti fürchtete, dass diese Furcht Thor zu Ohren kommen könnte. Da dieser sich als der Beschützer Midgard und damit vor allem der der Menschen ansah, könnte er sich ermutigt fühlen, einzugreifen. Und da war noch die Prophezeiung. Tatsächlich wunderte es Hiti, warum ihm und seinen Freunden so viel Zeit gegönnt wurde. Er konnte nicht wissen, dass die Götter Asgard davor absahen, die Midgardschlange trotz ihres Wirkens anzugreifen, um Ragnarök nicht zu vorzeitig loszutreten. Doch der Gott des Donners wurde wahrhaftig stetig unruhiger.
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Noch waren eine Handvoll Äonen der Ruhe Hiti gegönnt, sodass sowohl die Stadt und die Festung abwechselnd auf seinem Rücken sich ausbreiten und diese wie eine Rüstung umwachsen konnten. Doch dann kam der lang befürchtete Kampf. Es fing harmlos an. Ein Königreich, welches viel mit den Tieflingen handelte, stritt sich mit einen anderen um Handelsrouten, was letztendlich in einen Krieg mündete. Weil sein Reich eine unterlegende Flotte hatte, flehte der König die Tieflinge um Beistand und diese wollte ihn jene gewähren. Hiti hatte erneut wieder Bedenken, doch auch ein störrischer Gott erkannte irgendwann ein Muster. Deshalb seufzte er nur und fragte die Tieflinge, ob sie allein in den Krieg ziehen würden, wenn er sich weigerte. Als tausende in den Gewässern um ihn herum und auf seinen Rücken dies aus ganzen Hals bejahte, seufzte er erneut.
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Nachdem in der Stadt alles gesichert wurde, was nicht fest auf den Boden genagelt war oder nass werden könnte, und die Zivilisten in den Schutzkammern der Festungen untergebracht wurden, schwamm Hiti zu dem angegriffenen Königreich. Dessen Hauptstadt, eine Hafenstadt, wurde bereits von der feindlichen Flotte angegriffen, doch als diese den gewaltigen Hiti kommen sah, flohen sie. Der Krieg schien durch das Erscheinen der Midgardschlange bereits beendet worden zu sein, bevor er überhaupt anfing. Doch dann rollte plötzlich ein unerwartetes Ungewitter über den hellen Tag und angekündigt von Donner flog Thor herbei und landete wie ein Blitzschlag neben der belagerten Stadt. Auf beiden Seiten jubelten die Menschen, doch der Gott des Donners widmete ihnen wenig Achtung. Seinen Hammer Mjölnir haltend sah Thor vom Stand hinüber zu der Midgardschlange und war verwundert. Nichts in der Prophezeiung schwor davon, dass er nicht nur gegen die Schlange selbst, sondern auch gegen ein ganzes Volk sowie einer riesigen Stadt kämpfen würde. Doch der Gott des Donners erwies sich als zu mutig und als zu etwas einfältig, um dies lange zu hinterfragen und er ging zum Angriff über. Er flog empor und warf seinen Hammer in Richtung Hitis, auf dessen Kopf zielen. Doch die Schlange tauchte ihren Kopf unter Wasser, während die Tieflingen in der Festung ihre aus den Knochen und Sehen von Seeungeheuer gefertigten Ballisten abfeuerten. Zwar erwiesen sich die mit Zahnsplittern bestückten Pfeile als nicht schnell genug, um einen Gott des Donners vom Himmel zu holen, doch sie setzen ihn unter Zugschwang, was es ihn erschwerte, Hitis giftigen Atem und Bisse auszuweichen. Thors Rache kam in Form seines Hammers, der in die Mauern der Festungen donnern einschlug und sie erschütterte, bis sie einfielen, während die sich losreißende Blitze durch die Gänge rasten, hungrig nach Opfern tastend. Zwar versuchte Hiti, Teile der Festung zu schützen, indem er sie ins Wasser eintauchte, nachdem die Ballisten abgeschossen wurden, sodass sie im Schutze des Wassers nachladen werden konnten. Doch Hiti konnte nicht alles auf seinen Rücken schützen, vor allem, weil er selbst in Bewegung bleiben musste. So musste er mit anhören, wie Thor nach und nach die Stadt, die Heimat zerstörte, die seine Freunde über so langer Zeit errichtet hatte. Und als er erkannte, dass alles auf seinem Rücken zerstört werden würde, wenn nichts geschah, entschloss er sich zu einer gewagten Tat. Als Thor seinen Hammer erneut warf, schnappte Hiti nach Mjölnir und verschluckte ihn zum Erstaunen aller. Leider erwies sich ein göttlicher Hammer als schwere Mahlzeit, die die Schlange in die Bewusstlosigkeit blitzte. Regungslos trieb Hiti durch das Wasser und Thor ließ sich auf ihn fallen, fest entschlossen die Midgardschlange mit bloßen Händen zu zerreißen.
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Doch die Tieflingen ließen ihn nicht. Als er versuchte, eine Schuppe auszureißen, überfielen sie ihn in Schuppenrüstungen und mit Zahnsperren nach ihn stechen. Ein einzelner Tiefling oder Meermensch, wenn auch deutlich stärker als ein Mensch, stellte für einen Gott kein ernstzunehmender Widersacher dar. Doch eine ganze, fest entschlossene Armee, die ihn unermüdlich verfolgte, ganz gleich wie viele er erschlug, hielt Thor auf Trab. Tausende gaben ihr Leben und erkauften mit jeden Hundert jeweils eine Wunde auf dem Leib des Gottes des Donners, die ihn nach und nach ausblutete.
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Diesmal war es Thor, der mit einer Situation konfrontiert wurde, die seine Niederlage gebären würde, wenn er sie gewähren ließ. Anders als Hiti fehlte ihn aber in der Hitze des Kampfes die Weitsicht, sodass er nach sieben Tagen und sieben Nächte des unermüdlichen kämpfen endlich auf die Knie fiel. Drei Tieflinge rangen ihn nach unten und ein vierte holte mit einer Zahnklinge aus, um Thor den Kopf abzuschlagen. Doch der entscheidende Schlag wurde abgelenkt, von jemanden, der wie aus dem Nichts erschien. Es war das komische Männchen, welcher einst Hiti vor Thor gewarnt hatten. Die Tieflingen wollten sich wütend wegen der verwehrten Hinrichtung auf das Männchen stürzen, doch dieses rief zu Hiti, dass es etwas zu besprechen gab. Die Schlange, welche endlich langsam wieder zu Bewusstsein kam, wenn auch mit immer noch schmerzenden Magen, gestattet es und hörte das Männchen an. Allerdings sehr skeptisch, denn schon lange ahnte Hiti, dass dieser sein Vater Loki, der Tricksergott, war. Loki schlug vor, dass Hiti Thors Leben gegen einen Friedenvertrag mit den Göttern Asgard eintauschte. Hiti war nicht wirklich überzeugt, doch sah nicht wirklich eine bessere Alternative. Seine Freunde konnten einen Gott bezwingen, doch würden sie gegen zwei bestehen? Oder dreie? Gar alle?
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Während man die Antwort Asgards abwartete, wurde Thor in Ketten gelegt und von Wächter bewacht, die ihn regelmäßig mit Speeren stachen, damit er weiterhin blutete und geschwächt blieb. Loki leistete ihn Gesellschaft und man konnte vieles aus der Zelle kommen hören. Am ersten Tag Lokis Sticheln, gefolgt von Thor wütendes Geschrei. Am zweiten überraschenderweise viel tiefes Lachen. Und am dritten, letzten Tag wieder Geschrei.
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Odin höchstpersönlich kam zu Hiti und verhandelte mit ihm. Lange feilschten sie um Zugeständnisse, die weit über einen Frieden hinaus ging und regelten, welchen Platz die Tieflinge und Meermenschen in Midgard haben würden. Als man endlich einig wurde, würgte Hiti als Zeichen des guten Willens Thors Hammer heraus, der sowieso ihn die ganze Zeit auf die Leber drückte. Damit schien das Schicksal abgewendet zu sein und Hiti hoffte, nun mit seinen Freunden Frieden genießen zu können. Doch eines Tages kam sein Bruder, der Fenriswolf, und bat ihn um Beistand.
Damit findet diese Geschichte ihr Ende. Eine neue wird am 10. November 2023 ihren Anfang haben.
Admin - 10:04:18 @ Mythen, nordische Kultur | Kommentar hinzufügen