2024-01-19
1
Somit war es den Zwillingssöhnen vergönnt, in einer im Licht gebadeten Welt mit neuer Ordnung aufzuwachsen. Sie wuchsen zu prächtigen jungen Männern heran, die die Stärke und die Schnelligkeit ihres Vaters sowie das Geschick und die Eleganz ihrer Mutter erbten. Wie ihre Eltern liebten sie es, durch die Wälder zu streifen und zu jagen, um am Ende des Tages zu feiern und zu philosophieren. Doch wurden auch sie ein bisschen sehr von Onkel Aktaion geprägt, denn die beide mauserten sich zu Schönlingen, die mit ihren animalischen Aspekten Frauen weit und breit in Verzückung brachten. Etwas, was die beiden in vollen Zügen genossen, sodass ihre Saat sich weit verbreitete und sie die Stammväter der Wolf- und Katzenmenschen wurden.
So sehr Skalli und Hati zusammen das Leben genossen, so gab es eine Sache, die die Brüder entzweite: Ihre Faszination für den Himmel. Skalli liebäugelte immer noch mit der strahlenden Sonne, während Hati die bleiche Sanftheit von Mond und Sternen genoss. Der Wolfohrige spöttelte, dass seinem Bruder die Schönheit der Sonne wohl zu viel war, während dieser erwiderte, dass seinem Bruder wohl die Augen ausgebrannt wurden, denn er konnte eindeutig keine wahre Schönheit mehr sehen. Ihr Streit wucherte immer weiter, bis die Brüder sich auf einen wahnwitzigen Wettstreit einigen: Sie würden Sonne und Mond auf die Erde holen, damit ein direkter Vergleich möglich war und sie sehen konnten, welcher hübscher war. Und so begann es: Skalli jagte tagsüber Sol und ihrem Sonnenwagen nach, während Hati nachts den Wagen ihres Bruders Mani verfolgte. Anfangs erschien es ein zweckloses Unterfangen, denn Sonne und Mond rollten zu rasch für die Brüder über den Himmel. Doch die beiden hatten die Zähigkeit und Entschlossenheit ihres Vaters geerbt und obwohl sie nur auf zwei Beinen liefen, standen sie dem Wolf im nichts nach. Zumal sie dafür die geschickten Füße ihrer Mutter hatten. Somit wurde Skalli immer besser daran, von Wolke zu Wolke zu springen, während Hati über Sternenkonstellationen tanzte.
2
Der Tag, als die Brüder die Wagen einholten, kam letztendlich. Und er begann für Sol und Mani mit einem Schreck, denn sie glaubten, die Brüder kamen, um ihnen zu schaden, so wie die Prophezeiung einst es ankündigte. Doch rasch merkten sie, dass diese ungewöhnlichen Schönlinge keine böse Absicht hegten und sogar recht umgänglich waren, was sich als eine Bereicherung für ihre sonst eher einsamen Fahrten über den Himmel erwies. Zwar mussten sie die Bitte der Brüder abweisen, denn es wäre zu gefährlich, Sonne und Mond herab zu Erde zu führen. Doch dafür konnte es arrangiert werden, dass sich Sonne und Mond am Himmel trafen, sodass die Brüder sie miteinander vergleichen konnten. Ein Angebot, dass nur zu gern angenommen wurde, sodass die Geschwister mit ihren beiden Wagen am Himmel zusammenkamen und so die allererste Sonnenfinsternis einläuteten. Welche zudem nicht die letzte sein würde, denn der direkte Vergleich führte nicht wie erhofft zu einer Einigung unter den Brüdern. Stattdessen wurde ihr Streit ausdauernder, sodass sie immer wieder Sol und Mani darum baten, Sonne und Mond treffen zu lassen, was diese, wenn auch immer ein wenig genervt, nachkamen.
3
Alles schien perfekt in Epios Leben zu sein. Er hatte sich trotzt seines einstmals schlechten, weil prophezeiten, Rufs einen Platz im Hellenischen Reich erarbeitet, hatte treue Freunde und eine liebliche Frau sowie zwei Söhne, die ihn stolz machten. Seine Heimat war hier und er wurde sesshaft, was sich auch an seinem Fell bemerkbar machte. Denn dieses verblieb von nun an weiß, selbst wenn etwas ihn erzürnte. Wohl, weil er nicht mehr das getriebene Tier war. Leider konnten aber andere nicht das Treiben lassen. Denn so sehr die Götter von Asgard durch ihre Tatenlosigkeit eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem Fenriswolf andeuteten, so hatten sie ihn stets im Auge behalten. Allein wegen der Furcht, durch ein Eingreifen die prophezeiten Ereignisse früher ins Rollen zu bringen als nötig, sahen sie davon ab, gegen den Fenriswolf vorzugehen. Zumal gerade Odin Scherereien mit dem Olymp vermeiden wollte. Doch als der Göttervater selbst verschwand und vieles auf sein Ableben deutete, glaubte sein Sohn Vidar, dass die Zeit gekommen war. Denn eindeutig musste Odin dem Fenriswolf zum Opfer gefallen sein, womit Ragnarök begonnen haben musste. Daran hatte der stille Gott keinen Zweifel, obwohl niemand sagen konnte, wie dies vonstattenging. Somit reiste Vidar ins Hellenische Reich, um den Fenriswolf zu jagen und zu erlegen.
4
Er hatte hierbei mehr Verbündete, als er erwartet hatte. Denn auch wenn Zeus und seine Kohorte die nordischen Götter wie auch ihre Gläubigen für Barbaren hielt, so hatte sich der Fenriswolf auch für sie als ein Dorn in der Seite erwiesen. Denn die meisten stieß die Beziehung zwischen dem Fenriswolf und Artemis ab, denn die Göttin der Jagd hatte begonnen, immer mehr den Olymp und dessen Entscheidungen zu kritisieren, so ähnlich wie Athene. Dass Artemis auch wie die weise Göttin des Krieges ihre Jungfräulichkeit verloren hatte, half auch nicht dabei, die Meinung über den Fenriswolf zu verbessern. Die eine Hälfte des Olymps war erzürnt, weil der Wolf angeblich die „Heiligkeit“ des Körpers einer göttlichen Jungfrau „geschändet“ hatte. Und die andere Hälfte war neidisch darauf, dass dem Wolf jenes vergönnt worden war, was sie alle insgeheim begehrten. So oder so gab es also genug Götter auf dem heiligen Berg, die dem Wolf Böses wollten. Doch sie mussten sich geschickt anstellen, denn Artemis war eine scharfsinnige Jägerin, die eine simple, gegen ihren Mann gerichtete List sofort durchschauen würde. Deshalb listete man aus einer Richtung, aus der die Göttin der Jagd keinen Hinterhalt erwartete: die Nymphen. Vor allem eine Nymphe fiel den Göttern ins Auge und zwar jene, die der Fenriswolf beim ersten Treffen als Geisel genommen hatte. Noch immer prangten große Narben an ihren Leib und auch wenn der Fenriswolf sich bei ihr entschuldigte hatte, so zürnte sie ihm noch immer. Dies hatte der Fenriswolf auch als eine Schuld, eine Konsequenz seiner Taten akzeptiert, die er für den Rest seines Lebens auf seinem Rücken tragen muss. Jedoch ahnte er nicht, dass der Hass der Nymphe tiefer als dies ging. Denn auch sie glaubte, dass der Fenriswolf Artemis verdorben hatte. Und obwohl die Nymphe sich nicht wie viele andere von der Göttin abgewandt hatte, als diese schwanger wurde, so wünschte sie sich den Wolf und seine Brut weg, damit Artemis wieder zu dem „reinen“ Geschöpf von früher wurde. Als Hermes dann mit einem Gift bei ihr vorstellig wurde, war die Nymphe mehr als willig. Es erwies sich als einfach, das Gift zu verabreichen. Denn Epios entging nicht das Kommen Vidars, weshalb der Wolf sich vorbereitete. Dazu gehörte das Sammeln von Kräften durch das Verschlingen ungeheure Mengen von Wild, welches er sich von den Jägern und Nymphen erlegen ließ und sogar roh verschlang, damit es schneller ging. Einen der Kadaver mit dem Gift zu präparieren, erwies sich als äußert einfach.
Der letzte Teil der Geschichte wird schon morgen, am 20. Januar 2024, veröffentlicht.
Admin - 15:51:22 @ Mythen, nordische Kultur, hellenische Kultur | Kommentar hinzufügen