2024-06-21
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Interpretation des Epios-und-Artemis-Mythos
Zentraler Wert
Wenn man den Epios-Mythos mit dem Hiti-Mythos vergleicht, so tun sich Parallelen auf und man könnte vorschnell urteilen, dass sie beide sich auf denselben zentralen Wert konzentrieren. So wie die Schlange ins Meer geworfen wurde, damit sie gefangen den Göttern nicht gefährlich werden konnte, bevor Ragnarök begann, so wurde der Wolf angekettet, damit er nicht umherstreifen und unachtsame Unsterbliche beißen konnte. Beide erlangten Freiheit, nicht nur im physischen, sondern auch im metaphysischen Sinne, indem sie die Gesellschaft anderer Kreaturen fanden, die ihnen wohlgesonnen waren. Somit könnte man argumentieren, dass beide Brüder Freiheit durch Gemeinschaft erlangt haben.
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Diese Gleichsetzung ist durchaus berechtigt, doch sie greift zu kurz, einen entscheidenden Unterschied ignorierend: Hitis Gemeinschaft ist die der Gesellschaft, ein Zusammenschließen von unzähligen Individuen. Epios’ Gemeinschaft hingegen ist die der Familie, wobei ich in dem Fall auch seine Freunde wie den Halbgott Aktaion darunter mitverstehe. Auch wenn ich nicht das persönliche Band herabwürdigen will, dass zwischen Hiti und den Tieflingen besteht, so weise ich aber erneut darauf hin, dass ihre Beziehung mehr die zwischen einem König und seinen Untertanen ist, auch wenn er ein König ist, der mit, anstatt über seinem Volk lebt. Die Stärke, die sie voneinander ziehen, drückt sich deshalb in einem zivilisatorischen Voranschreiten aus.
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Dies ist bei Epios nicht gegeben, wenn man davon absieht, dass er, sobald er von den Dorfbewohnern akzeptiert wurde, sehr wissbegierig war. Der Wolf und die Wesen um ihn herum erlangten nicht Freiheit dadurch, dass sie gemeinsam stärker wurde, als wenn sie allein gewesen wären. Sondern vielmehr wurden sie stärker, weil sie Schultern hatten, an die sie sich anlehnen konnten. Augen, vor denen sie Schwächen zeigen konnten. Und Zungen, die sie zu einem besseren Sein leiten konnten.
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Der Beginn von Epios’ Geschichte ist seelenzerreißender als Hitis. Während die Schlange an Einsamkeit in der Tiefe litt, wurde der Wolf in Asgard gefangen gehalten und gequält. Die Narben, die er hierbei erlitt, trieben ihn später, als er sich losriss, dazu an, die gleiche Gnadenlosigkeit an anderen auszuüben, die er selbst erleiden musste, bis er auf Aktaion traf. Ein Verhalten, welches leider zu oft von Opfern ausgeübt wird, sobald sie aus ihrer Machtlosigkeit herausgerissen werden. Aber es ist wohl auch eine Gnadenlosigkeit, die leicht ausgeübt wird und gar lebensnotwendig sein könnte, wenn man auf sich allein gestellt ist. Denn auch wenn Epios später selbst zugibt, unnötig grausam gewesen zu sein, so sollte man zu seiner Verteidigung nicht vergessen, dass er als Feind der Götter Asgards von den Sterblichen gejagt wurde. Erst als er sein schicksalhaftes Treffen mit Aktaion hatte und durch seine Freundschaft zu ihm eine sichere Heimat erlangte, innerhalb derer man ihm nicht ständig nach dem Leben trachtete, beginnt er über sein Handeln zu reflektieren.
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Auch wenn der Mythos nicht direkt davon berichtete, so kann man mutmaßen, dass die Empathie, die Epios nun in der Geschichte zeigte und zuvor aber nicht zum Ausdruck brachte, wohl auch durch Gespräche mit seinem Freund Aktaion gestärkt wurde. Doch der entscheidende Durchbruch kam erst mit dem Treffen mit Artemis. Obwohl es mit sehr viel Geschrei und gegenseitigem Drohen ablief und gar in einen Kampf ausartete, so trafen die beiden später sich freiwillig und unter freundlicheren Umständen wieder, weil sie in dem anderen etwas von sich selbst erkannten. Beide waren Wesen, denen man Unrecht getan hatte, die aber auch selbst durch ihre Taten Unrecht verbreitet hatten. Somit spiegelten sie sich gegenseitig und konnten so ihre eigenen Verfehlungen erkennen, auch wenn es gerade für Artemis schwer war, diese zu akzeptieren.
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Für den geneigten Leser mag sich nun die Frage auftun, was dies alles aber genau mit Familie zu tun haben soll. Es klingt sicher für dessen Ohr mehr wie eine Geschichte des Vergebens und des Bußetuns, so wie ein Christ sie lieben würde. Es ist durchaus ein wichtiger Aspekt dieses Mythos, doch man beachte bitte, dass es hier in einem familiären Umfeld stattfindet. Es ist nicht ein Richter oder ein Priester, also ein Fremder, der hier eine Anklage kundtut, sondern Epios, der versucht, Artemis auf ihre eigenen Verfehlungen hinzuweisen. Als Epios als einsamer Wolf durch die Wälder gejagt wurde, war es eine Art der gewaltsamen Anklage, denn die Götter und Menschen fürchteten ihn für das, was er laut der Prophezeiung eines Tages tun würde. Eine Anklage, die Epios aber nicht akzeptierte, weshalb er sich wehrte, weiteres Unrecht in Kauf zu nehmen, was ihn nicht innehalten ließ, denn er war allein. Ein einsamer Wolf, für den die ganze Welt der Feind war, würde nicht, konnte vielleicht gar nicht über seine eigenen Taten reflektieren. Erst durch Aktaion und später durch Artemis sowie seine Söhne hörte die Welt auf, ein Feind zu sein und er wurde ein Teil von ihr. Denn eine Anklage, kommend von jemanden, der sich um einen scherte, schneidet tiefer als die von einem Fremden. Wie viele Verbrecher – gerade die jungen, die noch nicht vollkommen an die Kriminalität verloren worden waren – lachten dem Richter ins Gesicht, nur um vor den traurigen Gesichtern ihrer Mütter und Väter zusammenzubrechen? Und dann von bedingungsloser Liebe gerettet zu werden?
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Ein berechtigter Einwand hier wäre nun aber, dass Epios und Artemis Fremde oder bestenfalls Bekannte gewesen waren, als der Wolf die Göttin der Jagd auf ihre Verfehlungen hinwies. Doch hier würde ich wiederum einwenden, dass Epios nicht als ein Ankläger, sondern als ein Leidgenossen auftrat, womit der Keim einer Vertrautheit bereits existierte. Welcher seiner harten Schalen entspringen konnte, weil der Wolf geduldig die selbstgerechte Wut der Göttin ertrug, sodass diese letztendlich dem Verstehen, dann der Freundschaft und letztendlich der Liebe weichen konnte.
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Zusammengefasst könnte man argumentieren, dass Familie die Verbindung des einzelnen zu der Gesellschaft im Ganzen ist, welche letztendlich auch nur eine Familie der Familien ist. Dass ich am Anfang zudem einen sehr losen Begriff der Familie nutzte, um auch Freunde miteinzuschließen, zeigt sehr deutlich, dass die Grenze zwischen Familie und Gesellschaft sehr fließend ist. Dass das Band zwischen zwei Menschen mit der abnehmenden Vertrautheit nicht abreißt, sondern vielmehr dünner und damit weniger belastbar wird. Damit stellt es sicher auch keinen Zufall dar, dass die Mythen von Hiti und Epios so ähnlich erscheinen, denn sie scheinen sich letztendlich um dieselbe Thematik zu drehen, mit dem Unterschied, dass die Schlange große Kreise zog, während der Wolf in kleinen rannte.
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Somit überrascht es nicht, dass Epios als Freund Aktaion, als Ehewolf Artemis’ sowie als Vater von Skalli und Hati einen Platz in der Welt fand, so wie sein Bruder seinen mit den Tieflingen als sein Volk fand. Und wie Hiti erlangte der Wolf damit einen Grund, sich dem entscheidenden Kampf gegen Vidar mit starker Seele zu stellen und den Halbgott mithilfe seiner Familie zu besiegen.
Der nächste Teil der Interpretation wird in zwei Wochen, am 05. Juli 2024, veröffentlicht.
Admin - 10:58:52 @ Mythen, nordische Kultur, hellenische Kultur | Kommentar hinzufügen