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Blogpost aus Mora


2025-01-17

Schulbesuch im Naturkundemuseum - Kapitel 1 - Teil 2

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Auch wenn Brigit wusste, dass man sich auf den mit ihr in der Dinosaurierhalle wartenden Herrn Müllziege verlassen konnte, so hielt es bei ihr nicht die Nervosität fern, sodass ihre Finger wild eine ihrer goldenen Locken um sich wickelten, so als sollte diese zu Gold gesponnen werden. Sie musste tunlichst darauf achten, sich nicht, wie es ihr als kleines Mädchen oft passiert war, eine Strähne auszureißen. Generell tat sie sich damit schwer, vor Leuten zu reden. Wenn sich alle Augen sich auf sie richteten, fühlte sie sich so entblößt, als hätte sie keine Geheimnisse mehr. Vorträge vor ihren Mitstudenten stellten immer für sie einen Graus dar. Und nun es vor Kindern zu machen, wurde aus dem Graus ein Grauen. Zwar liebte sie Kinder – vor allem ihre kleinen Brüder –, doch deshalb wusste sie auch, wie unschuldig grausam Kinder sein konnten. Würden die Kleinen ihr überhaupt zuhören? Und wenn die Kinder dies überraschenderweise taten, würden diese dann sie wegen einzelner Stammler oder Versprecher auslachen?
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Ihre Nervosität wuchs wie aufgehender Hefeteig, als eine Welle von Geräuschen in die Halle brandete, die Schulklasse ankündigend. Wie eine kleine Horde aufgeregter Enten schnatterten die Jungen und Mädchen, nur immer wieder von der mahnenden Stimme des Lehrers kurz unterbrochen, bevor die zwölf Jahre alte Jugend wieder laut wurde. Doch als die Schüler und Schülerinnen in die Halle kamen, passierte etwas Zauberhaftes. Sie wurden leiser, als sie unter den großen Türbogen schritten. Nicht ganz verstummten sie, denn Kindern konnten und sollten nie vollkommen still sein. Viele von ihnen hielten inne und anstatt Lärm zu machen, sahen sie mit großen Augen hin zu den aufgerichteten Skeletten. Ihre Blicke fielen sowohl auf den weiten Nackenschild des Triceratops-Schädels als auch auf das im Vergleich kleine, weniger robust wirkende Skelett des Velociraptors, welches aber dank seiner scharfen Krallen nicht weniger Ehrfurcht einverlangte. Auch wenn diese Ehrfrucht verdient war, so war diesen beiden Exponaten jene nur kurz vergönnt gewesen, weil ihre Podeste direkt am Eingang der Halle standen. Als die Kinder weiter herankamen, schnellten ihre kleinen Köpfe hoch zu dem Prachtstück der Ausstellung, welches nicht einfach nur in der Mitte der Halle stand, sondern thronte. Denn solch ein gewaltiges Wesen, welches vom Kopf bis zur Schwanzspitze eine Länge von achtzehn Meter erreichte und trotz seines gebeugten Ganges selbst einen Elefanten überragte, brauchte keine Throne, denn seine Gestalt allein entriss einem Menschen den Respekt, den es verdiente. Laut deuteten die Kinder auf den Schädel, der ein bisschen an den Kopf eines Krokodils erinnerte. Manche der Kleine beäugten etwas ängstlich den langen oberen Kiefer – der untere war leider in der Kreidezeit verblieben – und all seine vielen Zähne. Verständlich, das Maul war groß genug gewesen, um einen ganzen Mann zu verschlingen. Doch Brigit bemerkte, wie verzaubert die Schulklasse auch von den Dornfortsätzen war, die wie Pfeiler aus der Wirbelsäule herausragten, nicht nur allein mit den gut versteckten Metallstücken verbunden, sondern auch mit einem leisen, blauen Leuchten, welches zwischen den Knochen wie ein gewobenes Band hing, so als wäre das große Rückensegel, welchen dieser Dinosaurier einst trug, nicht vor Äonen zerfallen.
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Dies riss Brigits eingeklemmte Seele los, denn nun wusste sie, dass sie den richtigen Plan gefasst hatte. Tatsächlich hatte die Studentin sich in den Wochen zuvor den Kopf darüber zerbrochen, was genau sie sagen sollte. Denn wie bot man den Kindern eine Übersicht über diese Urzeit, ohne ihre jungen Seelen mit Informationen zu überladen und mit Fachbegriffen zu durchlöchern? Ihres Geliebten Petrus‘ Herangehensweise setzte sich aus einem Vortrag zusammen, so wie er ihn ihren Kommilitonen präsentiert hätte, einfach nur für das Kindergemüt heruntergebrochen. Doch sie wusste, dass dies kein guter Ansatz war. Kinder waren zwar sehr neugierig, aber auch immer aufgeregt. Langes Zuhören ermüdete sie, weshalb ja eine dieser Führungen nur eine Dreiviertelstunde dauern sollte, nicht länger als eine Schulstunde. Somit stand ihr eine sehr begrenzte Zeit zur Verfügung, nur ein winziger Moment im Vergleich zu allem, was sie zu lehren hätte. Letztendlich sollten es ihre kleinen Brüder sein, die ihr den rettenden Einfall gaben. Dann als sie mit den beiden vor einem Monat das Museum besuchte, um der Enthüllung eben jenes Urgiganten beizuwohnen, überschütteten diese Brigit geradezu mit Fragen. Ein Führen war gar nicht notwendig, denn so junge, neugierige Kinder wussten, was sie wissen wollten.
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Deshalb versuchte Brigit gar nicht erst, die Aufmerksamkeit dieser Grundschulklasse zu lenken, sondern wartete darauf, dass sich diese von selbst an etwas heftete. Natürlich barg dies ein gewisses Risiko: Eine Gruppe von Grundschulkindern besaß die Dynamik von Dampf. So wie man sich, wenn man unvorsichtig agierte, leicht die Finger verbrühen konnte, so konnten die Kleinen mit spielerischer Leichtfertigkeit einen Plan durchkreuzen. Zwar hatte Brigit in weiser Voraussicht auch Notizen für die anderen Exponate vorbereitet, doch das meiste hatte sie über den Spinosaurus zu sagen, sodass es etwas peinlich geworden wäre, wenn die Kleinen nicht interessiert wären.
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Glücklicherweise erwies sich aber ihre Vorstellung, dass selbst das unberechenbare Verhalten von Kindern wie Dampf in seinen Regungen eine innere Logik hatte als goldrichtig, sodass sie, während ihre Nervosität etwas schrumpfte, an die Klasse herantrat und mit lauter Stimme das Wort ergriff: „Herzlich willkommen in unserem Museum der Naturkunde, meine Lieben, und in dieser Halle, in der wir der gewaltigen Echsen, der Dinosaurier, gedenken, den Giganten der Urzeit, Herrscher des alten Gaias.“ Viele der Kinder senkten ihre Köpfe und sahen zu der Studentin, doch ein paar ignorierten sie, weiterhin das Prachtexponat bewundernd. Brigit ließ sich nicht davon stören und deutete zuerst mit aufgelegter Hand auf sich selbst – „Ich bin die Brigit, eure Führerin durch die Urzeit, …“, und dann mit einen höflichen Armschwingung zu ihrem Dozenten: „… und dies ist mein Dozent Herr Professor Müllziege, …“ Kindliches Gelächter brach aus, so gut wie gar nicht durch das erboste Ermahnen des Lehrers eingeschüchtert. „… dessen Namen aber nichts mit Müll zu tun hat. Es ist eine Variante von Müller, einem Familiennamen, der sicher von mindesten einem von euch getragen wird.“ Sogar drei Stimmen bestätigten das, während Herr Müllziege sich amüsiert durch den Bart strich. Er war auf eine erheiterte Art und Weise gewöhnt an die Verwirrung über seinen Familiennamen. „Wie ich sehe, hat unser Großer hier …“ Sie streckte ihren rechten Arm hoch in einen verspielten Versuch, den einzelnen Kiefer des Skelettes hoch über ihr zu erreichen. „… bereits eure Aufmerksamkeit eingefangen. Kann einer von euch mir seinen Namen sagen?“ Eine etwas fiese Frage, die von nicht wenigen der Kinder wie erwartet falsch mit Ausrufen von Tyrannenechse und Tyrannosaurus Rex beantwortet wurde. Nicht unverständlich, denn zuvor stellte tatsächlich ein solcher eines der Prachtstücke des Museums dar, bevor es als Leihe zu dem Naturkundemuseum in Trauerheid wanderte. Zum anderen sah dieses Skelett dem wohl bekanntesten Dinosaurier durchaus etwas ähnlich. Zumal diese Art bis vor ein paar Jahren selbst den Wissenschaftlern nur anhand von Bruchstücken bekannt war, bis man dieses nahezu vollständige Skelett gefunden hatte. Die Faszination für diese Art musste erst noch in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit hineintropfen.
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„Leider nicht korrekt“, offenbarte Brigit mit einem nachsichtigen Lächeln. „Dies hier ist der Spinosaurus, die Dornenechse.“ „Aber … der hat aber keine Dornen …“, meldete sich eine zaghafte Stimme. Sie kam von einem Mädchen, welche technisch gesehen ein Wolfmädchen war, aber mit ihrem orangebraunen Fell erinnerte sie Brigit mehr an eine Füchsin. Eine sehr ängstliche Füchsin, so wie das Mädchen ihren buschigen Schwanz wie ein Plüschtier hielt und drückte. Sie musste all ihren Mut zusammengenommen haben, um diesen Widerspruch zu stellen, sodass sich Brigit mit ihrer Antwort alle Mühe gab, um ihre Neugierde zu ermutigen: „Ja, der Name kann beim ersten Hören etwas verwirrend sein. Zumal die in unseren Breiten übliche Bezeichnung ‚Dornenechse‘ keine wortwörtliche Übersetzung des hellenischen ‚Spinosaurus‘ ins Teutonische darstellt. Denn während ‚saurus‘ Echse bedeutet, meint ‚spino‘ hingegen Rückenmark.“ „Rückenmarkechse klingt aber nicht so toll“, warf eine Jungenstimme ein, lachende Zustimmung erhaschend. Auch Brigit musste giggeln: „Durchaus möglich, dass die Benenner ein ähnlicher Gedanke heimgesucht hatte. Doch tatsächlich hat dieser Gigant hier ‚Dornen‘. Denn diese langen, knöchernen Stäbe, die aus seiner Wirbelsäule herauskommen, nennt man Dornfortsätze. Das sind Fortsätze an den Rückseiten der Wirbel, die jedes Wirbeltier hat.“ „Also auch wir?“, fragte das Fuchsmädchen, während ihre niedlichen, spitzen Ohren neugierig zuckten. „Auch wir“, nickte Brigit. „Du kannst sie ertasten, wenn du mit dem Finger entlang deiner Wirbelsäule fährst.“ Dies probierten einige Kindern sogleich aus und während die meisten ihre Finger über die Hemden und Blusen zogen, steckten ein paar sie sogar darunter. Brigit lächelte, als sie sah, wie ein Junge seinen Freund, einen Harpyius, den eigenen Rücken anbot, weil dieser sich wegen seinen Doppeltschultern nicht an den eigenen greifen konnte.

Der nächste Teil der Geschichte wird in zwei Wochen, am 31. Januar 2025, veröffentlicht.

Admin - 08:28:06 @ Naturkunde, Erzählung | Kommentar hinzufügen