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Blogpost aus Mora


2023-11-10

Epios und Artemis - Teil 1

1
Es kam einmal ein Wolfswelpe nach Asgard. Jedoch war er nicht ein gewöhnlicher Welpe, so klein und flauschig er auch erschien. Denn ein Faden des Schicksals verband dieses jungen Tier mit einem Monstrum, welches eines Tages Welt und Götter verschlingen würde. Um dieses unausweichliche Schicksal so weit wie möglich herauszuhalten, hatten die Arsen den kleinen Welpen zu sich geholt. Und zeigten wenig Liebe. Die Götter verspotteten ihn pausenlos, was der kleine Welpe ertragen musste, wollte er, dass man ihm die Essensreste hinunterwarf. Sein schönes, weißen Fell wurde vom Speichel der Walküren beschmutzt, die ihn bespuckten, bevor sie ihn mit Speerstichen von sich hielten. Und die stets betrunkenen Krieger in den Hallen Walhalls ließen ihm keine Ruhe, denn diese forderten sich gegenseitig zu albernen Mutproben heraus. Wie, an dem Schwanz des Welpen zu ziehen, wenn er schlief. Oder ihm beim Essen mit dem Schwert in die Nase zu stechen. Oder ihn einfach zu verhöhnen.
2
Doch der kleine Welpe blieb nicht für immer klein. Mit jeder durch Asgard ziehende Äone wuchs er zu einem gewaltigen Wolf mit rabenschwarzem Fell heran. Ein Wolf, dessen grollendes Knurren jeden Spott verschluckte. Ein Wolf, dessen glänzende Zähne jedes Schwert vor Neid erstumpfen ließ. Ein Wolf, dessen Schwanz mit einem Schlag einen Krieger Walhalls hinunter zu Midgard schlagen konnte, sodass eine Walküre dem Unglückseligen hinterhereilen musste. Aber auch diese Schlachtjungfern mussten sich hüten, denn der Wolf tolerierte nicht, was der Welpe ertragen musste. Wenn eine auch nur den Wolf bösartig ansah, packte er sie und schleifte sie durch ganz Asgard wie ein Stöckchen. Und den Göttern raubte er regelmäßig die Mahlzeit, indem er mit seinem gewaltigen Leib den langen Tisch umwarf und sie für sich beanspruchte, denn alles, was auf den Boden fiel, war sein. Selbst Odin, der Göttervater, blieb nicht von dem Wolf verschont, der ungeniert an seinen Thron Hlidskialf urinierte.
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Dieses animalische Infragestellten seiner Position, seines Reviers, schlug für den Einäugigen dem Fass den Boden aus. Er forderte von den Zwergen, dass man Fesselungen für die Bestie schmiedete. Die Meisterschmiede des Untergrundes gehorchten und fertigten zwei Ketten mit den Namen Läding und Droma an, die den schwarzen Wolf mit List und Hemmung binden sollten. Den Göttern gelang es zwar, dem Wolf die Ketten anzulegen, indem sie seine Stärke verspotteten. Doch der Wolf brach mühelos beide Ketten, denn seine Zähne zerbissen jede List und sein Leib durchbrach jegliche Hemmungen. Als nächstes versuchten die Zwerge es mit dem Band Gleipnir, einem sehr dünnen Band, welches aber unzerreißbar war. Denn es war aus sechs Dingen gesponnen worden, welche nicht existierten: die Furcht von Bären, der Atem von Fischen, den Bärten von Frauen, dem Speichel von Vögeln, dem Geräusch einer Katzenpfote sowie den Wurzeln eines Berges. Erneut bedurfte es nur etwas Spott, um dem ahnungslosen Wolf das Band anzulegen. Als dieser merkte, dass er es nicht zerreißen konnte, wurde der Wolf wütend wie noch nie zuvor und schnappte um sich, wobei er Tyr, dem Gott des Krieges, die rechte Hand abbiss.
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Gebunden musste der Wolf sein Dasein an einer Wand des Götterpalastes Valaskjalf fristen, während die Götter wieder schamlos ihn verspotteten. Jedes Mal, wenn eine der Walküren ihm das Fressen brachte, stach sie ihn mit dem Speer in die Seite. Wenigstens trauten sie sich aber nicht nahe genug heran, um ihn zu bespucken. Dafür raubten die Krieger Walhalls dem Wolf die Ruhe, denn nun forderten sie sich gegenseitig dazu heraus, sich so nahe wie möglich an die Bestie heranzuwagen. Wenigstens konnte so der Wolf aber ab und zu seinen einfallslosen Speiseplan mit dem zarten Fleisch eines Narren bereichern.
5
So oder so schien das Schicksal des Wolfes besiegelt, zumindest bis der verhängnisvolle Tag kam, vor dem sich die Götter fürchteten. Doch ihre so sehr in eine Richtung gelenkte Furcht ließ sie dafür eine verhängnisvolle Nacht missen, in der der Wolf unerwarteten Besuch bekam. Und zwar in der Form eines komischen Männchens mit einem stark vernarbten Gesicht. Zuerst war der Wolf sehr gewillt, mit seinen Zähnen dieser Sammlung noch weitere hinzuzufügen, doch das komische Männchen wich geschickt seinen Bissen aus. Der Lärm erregte den Argwohn einer Walküre und als sie nach dem Rechten sah, versteckte sich das komische Männchen in dem dichten Fell des Wolfes, der ihn nicht verriet. Denn sein Instinkt ließ ihn spüren, dass dies kein Freund der Arsen war. Vermutlich aber auch nicht seiner, doch da der Wolf das komische Männchen nicht zu fassen bekam, gab er auf, ließ es hervorkriechen und hörte widerwillig dem zu, was es zu sagen hatte. Zu sagen und vor allem zu verraten hatte es einiges, denn laut dem Männchen war das Band Gleipnir bei weitem nicht so reißfest, wie die Götter dachten. Den Zwergen war nämlich ein Fehler unterlaufen. Zwar kein törichter, sondern vielmehr ein ignoranter. Denn die angeblich nichtexistenten Dinge, aus dem das Band gesponnen wurde, existieren wahrhaftig.
6
So kannte der Bär durchaus die Furcht, auch wenn ihm zugebender Maße nicht häufig etwas Furchteinflößendes über den Weg lief. Doch er würde garantiert Furcht vor dem großen Wolf mit dem schwarzen Fell verspüren. Der Wolf war nicht sofort überzeugt, denn er hatte noch nie einen Bären gesehen. Deshalb fragte er das Männchen, ob so ein Bär größer war als die Götter, was man ihm sofort verneinte. Mit dieser Antwort verstand der Wolf und das Band riss ein kleines bisschen.
7
Über Fische schienen die Zwerge wenig zu verstehen. Kein Wunder, meinte das Männchen, sie würden ja die ganze Zeit nur in finsteren Höhlen hocken. Sie sollten öfter angeln gehen, denn dann wäre ihnen aufgefallen, dass Fische Wasser atmen. Sonst könnten sie ja nicht an der Luft ersticken, nachdem man sie ihrer nassen Heimat entrissen hatte. Erneut verstand der Wolf, diesmal ohne jeglichen Zweifel. Als er als Welpen noch frei herumlaufen durfte, hatte er oft Fische aus einen der Seen Asgard gezogen und ihnen dabei zugesehen, wie ihre zappelnden Bewegungen langsam erstarben. Ein weiterer Riss im Band.
8
Der fälschliche Glauben, dass Frauen keine Bärte haben können, konnte man den Zwergen leicht nachsehen, denn sie waren selten. Doch sie existierten laut dem Männchen und der Wolf, dessen Vertrauen er langsam gewann, glaubte es ihm. Wieder wurde das Band zermürbt.
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Dass die Zwerge aber eindeutig keine Naturgelehrte darstellten, wurde durch ihr mangelndes Wissen über den Körperbau der Vögel deutlich. Das komische Männchen gab zwar zu, dass Vögel in ihrem Schnabel keinen Speichel hatten. Doch dann zückte es ein Huhn aus dem Nirgendswo hervor und schnitt es entlang des Halses und der Brust auf. Rasch musste das Männchen mit dem Huhn in der Hand zurückweichen, denn der Geruch frisch verletzten Fleisches ließ den Wolf gierig schnappen. Das Männchen schlug ihm auf die Nase und verlangte Geduld, welche der Wolf mit einem Knurren aufbrachte. So konnte man ihm den Kropf des Huhnes zeigen, wo, wie ihn das Männchen erklärte, das ganze Fressen hinein geschluckt und anschließend mit den „Speichel“ des Huhnes eingeweicht wurde, so wie es in der Mundhöhle eines Menschen oder eines Wolfes geschah. So sehr veranschaulicht konnte der Wolf gar nicht anders, als es zu glauben und das Band riss noch weiter.
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Das nächste Ding musste das komische Männchen ihm nicht erklären, denn der Wolf realisierte selbst, dass er die ganze Zeit mit seinen großen Ohren die Katzen Freyas herumschleichen hörte. Zwar war das Geräusch ihrer auftretenden Pforten so sanft wie der Wind, aber eben nicht unbemerkbar. Das Band war kurz vor dem Zerreißen.
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Als das Männchen ihm dann auch noch verriet, dass es unter den Bergen Höhlensysteme gibt, die wie Wurzeln sich weit nach unten erstreckten, nickte der Wolf nur und das Band riss. Doch anstatt wie sonst loszurennen und etwas zu jagen, legte sich der Wolf nur auf den Boden und drückte sich die Pfoten auf den Kopf, der zu schmerzen begonnen hatte. Ihn plagte etwas, was ihn bislang noch nie heimgesucht hatte: Fragen. Wieso haben ihn sechs Dinge, die angeblich nicht existieren, obwohl sie es tun, binden können? Was bedeutet es überhaupt, ein Band aus nichtexistierenden Dingen zu spinnen? Das komische Männchen schmunzelte bei dem Anblick des ratlosen Wolfes und bot an, seine Fragen zu beantworten. Es verriet ihm, dass es nicht diese sechs Dinge an sich gewesen waren, die ihn banden. Sondern vielmehr, was sie darstellten: Unsinn. Das ganze Konzept des Bandes ergab keinen Sinn, doch trotzdem hatte sich der Wolf davon binden lassen, indem er es akzeptierte, aber nichts verstand. Indem der Wolf die einzelnen Komponenten und die Fehler hinter ihrer angeblichen Nichtexistenz verstand, durchschaute er den Unsinn. Der Wolf fragte knurrend, ob das Männchen dann nicht einfach das Konzept des Bandes hätte erklären können, damit ihm das lange Gerede über die Dinge hätte erspart bleiben können. Doch das verneinte das komische Männchen, denn dann hätte der Wolf nicht gelernt, zu denken.

Der nächste Teil der Geschichte kommt am 24.11.2023 heraus.

Admin - 12:09:46 @ Mythen, nordische Kultur, hellenische Kultur | Kommentar hinzufügen

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