o                          
 
Neues aus Mora





 

Blogpost aus Mora


2023-12-08

Epios und Artemis - Teil 3

1
Da der Wolf sich wenig offen für einen Wortwechsel zeigte, befahl Aktaion seinem Sklaven, dem Wolf die Entfernung der Pfeile anzubieten. Dies erschreckte den Sklaven und dieser brauchte mehrere Anläufe, um mit seiner zitternden Stimme dies den Wolf zu unterbreiten. Dies brachte das Knurren zum Verstummen und zum ersten Mal erweichten die Augen des Wolfes ein kleines bisschen. Nur ein wenig, sodass die Wachsamkeit nicht verschwand, nur genug, damit der Wolf das Angebot abschätzen konnte. Durchaus wollte er diese verdammten Pfeile aus seinem Leib heraushaben. Er selbst kam mit seinen Zähnen kaum an sie heran und selbst wenn er sie zu fassen bekam, so konnte er sie nicht herausziehen. So tief steckten sie. Doch der Wolf konnte nicht den  Menschen vertrauen. Niemandem konnte er vertrauen und als er das letzte Mal jemanden an sich heranließ, band man ihn. Doch er wollte auch den Schmerz loswerden. Also setzte er eine Bedingung: Aktaion würde seine rechte Hand als Pfand in das Maul des Wolfes legen. Sollte sein Gefolge etwas Schlechtes tun, während sie die Pfeile herauszogen, so würde der Wolf jene abbeißen. Der junge Halbgott stimmte zu und schickte seinen fassungslosen Sklaven heraus, die anderen holen, denn sie würde jedes Paar Hände brauchen. Auch der Rest des Gefolges starrte beim Eintreten in die Höhle ihn und den Wolf an, denn er hatte bereit seine Hand in das Maul gelegt. Sehr um das Wohl ihres Freundes besorgt gingen die Männer sofort ans Werk. Wie befürchtet, erwies es sich als ein Kraftakt, der sich über Tage hinweg zog. Keinerlei Rast gönnten sich die Männer und hätte nicht einmal etwas gegessen, wenn ihre besorgten Frauen und Diener ihnen nicht etwas gebracht hätten. Und die ganze Zeit über behielt Aktaion seine Hand im Maul des Wolfes, während er seine Freunde anwies. Nicht einmal, als der Wolf vor Schmerz zusammenzuckte und sein Maul öffnete, zog der junge Halbgott seine Hand zurück. Sogar als der Wolf versehentlich wegen des Schmerzes seine Zähne leicht in sein Fleisch hineindrückte, machte er keinen Rückzieher.
2
Nach sieben Tage fiel scheppernd endlich der zweite Pfeil auf den Höhlenboden. Aktaion hatte sein Wort gehalten und der Wolf tat das gleiche, indem er die Hand entließ. Sofort kam ein Sklave herbeigeeilt und versorgte die Wunde, während der junge Halbgott und der Wolf sich gegenseitig ansahen. Der Wolf verspürte etwas, was er nicht kannte, nicht bestimmen konnte. Wieder einmal kam in ihm ein Gefühl auf, welches er nicht auszudrücken wusste. Ehe aber seine Verwirrung zu sehr wachsen konnte, legte Aktaion die Hand auf die große Schnauze und streichelte ihn. Der Wolf verspürte eine Berührung, in der keinerlei Druck oder Gewalt steckte. Es war kein Schlag, Tritt, Stich oder Schnitt. Nur ein simples, sanftes Streichen durch das dünne Fell seiner Schnauze. Es rüttelte etwas in den Wolf wach und ehe er sich versah, beleckte er Aktaion mit seiner Zunge. Da es sich um die Zunge eines sehr großen Wolfes handelte, warf diese geballte Zuneigung den jungen Halbgott geradezu um. Panisch griff sein Gefolge schon zu den Bögen, doch das schallende Lachen ihres Freundes, der mit der Zunge balgte, beschwichtigte sie. Als Aktaion wieder auf die Füße kam, fragte er den Wolf, warum er denn nicht einfach mit ihm käme. Sehr zu der Überraschung aller, den Wolf miteingegriffen, stimmte dieser zu. Wohin sonst könnte er aber auch stattdessen gehen sollen?
3
Großes Aufsehen erregte Aktaion, als sein Gefolge mit dem großen Wolf im Schlepptau heimkehrte. Jenes Aufsehen schlug rasch in Entsetzen um, als der junge Halbgott verkündete, dass der Wolf nun auf seinen Ländereien hausen würde. Doch niemand wagte mit einem Halbgott und erst recht nicht mit einem gigantischen Wolf zu diskutieren. Somit lebte der Wolf wieder einmal unter anderen und zuerst schien es nicht unähnlich zu damals zu sein, als er in Asgard gebunden war. Zwar misshandelte niemand ihn, doch dem Wolf entgingen nicht die sowohl ängstlichen als auch hasserfüllten Blicke der Diener im Haus, der Bauern auf den Feldern und der Familienmitglieder Aktaions. Doch der junge Halbgott selbst widmete dem Wolf jeden Tag viel Zeit, und zeigte keinerlei Angst. Sich auf sein Gespür verlassend begann der Halbgott dem Wolf zu lehren, indem er zuerst ihm Hellenisch beibrachte. Anfangs tat sich der Wolf schwer, denn wie damals, als das komische Männchen ihm den Trick hinter dem Band erklärte, tat ihm der Kopf weh. Doch mit der Zeit entwuchs diesem Schmerz etwas anderes: Faszination. Als der Wolf endlich die grundlegende Grammatik begriffen hatte und sein Wortschatz ausreichend gefüllt wurde, begann er Aktaion mit Fragen zu überschütten, wie: Wie nennt man diese komischen Tiere, die wie seine kleineren Ebenbilder aussahen? Wie konnten Aktaion und die anderen Menschen ihr Fell ablegen? Und wieso schmeckte das Fleisch, welches der Wolf serviert bekam, so verdammt gut? Zuerst verblüfft, dann erheitert beantwortete der Halbgott all seine Fragen: Man nennt diese Tiere Wölfe, wobei ihre gezähmten Brüder und Schwestern als Hunde bezeichnet wurden. Das, was Menschen trugen, war kein Fell, sondern Kleider, die man aber durchaus als ein angefertigtes Fell bezeichnen konnte. Und das Fleisch hatte man zuvor ordentlich durchgebraten und mit Thymian gewürzt. Diese Antworten befriedigten den Wolf nur für einen kurzen Moment, dann brach sein Wissendurst erneut aus, denn sein Blick auf die Welt hatte sich völlig verändert. Diese stellte nicht mehr nur eine Umwelt dar, die ständig versuchte ihm wehzutun, weshalb er andauernd auf der Hut sein musste. Nun sah er ihre Vielfalt, ihre Komplexität und wollte sie verstehen. Und so fragte er unentwegt und begleitete Aktaion auf viele Ausflügen, um sich Dinge zeigen zu lassen, denen er zuvor nie viel Aufmerksamkeit widmen konnte.
4
Die Bewohner der nahen Dörfer mieden den Wolf und damit auch Aktaion, wenn sie sich zusammen blicken ließen. Anfangs störte es den Wolf wenig, denn er wurde sein ganzes Leben lang gemieden. Doch Aktaion fand dies nicht gut und ermutigte den Wolf, auf die Dorfbewohner zuzugehen. Zuerst zierte sich der Wolf und sah keinen Sinn darin, doch Aktaion verriet ihm, dass er bald keine Antworten mehr geben könnte, denn er stieß an die Grenzen seines Wissens. Wenn der Wolf andere an sich heranließe, könnte er diese befragen und an ihren Lebenserfahrungen teilhaben. Knurrend ließ sich der Wolf letztendlich überreden und nach einer kurzen Weile fand er tatsächlich auch jemanden, der seine Hilfe gebrauchen konnte. Eine Gruppe von Schäfern hatten mit Wölfen zu kämpfen, die ihre Herden rissen und dabei einige der Schäferhunde getötet hatten. Auch wenn sie wie alle andere den gewaltigen Wolf fürchteten, so sahen sie sich gezwungen, ihn um Schutz für ihre Herden zu bitten, zumindest so lange, bis neue Schäferhunde abgerichtet worden waren. So bewachte der gewaltige Wolf für ein Jahr die Schafsherde, zusammen mit einigen Hunden aus Aktaions Rudel, die ihn viel schneller als die Menschen akzeptierten, auch wenn sie ihm anfangs ebenfalls misstrauten. Viele Wölfe wurden erfolgreich abgewehrt, sodass nach einem Jahr die Schäfer eine Unmenge an Wolle von ihren Schafen scheren konnten. Dem Wolf dankten sie nicht nur, indem sie ihn ihren Frauen beim Weben zusehen ließen. Er wurde zudem mit einer großen Decke überrascht, gewoben aus der Wolle ebenjener Schafe, die er beschützte.
5
Dies schlug eine Bresche in das furchtsame Misstrauen der Dorfbewohner und immer mehr von ihnen baten den Wolf um Hilfe. Immer öfter begleitete der Wolf Aktaion sowie die anderen Jäger zu den Wäldern und Hochebenen und erlegte mit ihnen gewaltige Tiere, an denen ganze Dörfer sich laben konnte. Nachdem der Metzger seine Messerkunst vor den mit Faszination funkelnden Augen des großen Wolfes demonstriert hatte, indem er das gute, köstliche Fleisch von den weniger appetitlichen Körperteilen trennte. Selbst für banalere Arbeit sah sich der Wolf nicht zu schade, sodass er während der Erntezeit für einen kranken Ochsen einsprang und den Karren für das Getreide zog. Und alles, was er dafür wollte, war, dem Bäcker zusehen sowie vom dampfenden Brot probieren zu dürfen. Welches ihm erstaunlich gut mundete. Ein anderes Mal zog er die Baumstämme für die Holzfäller, welche für ihn zusammen mit den Schreinern der Dörfer eine riesige Beinprothese schnitzten, sodass er wieder auf allen Vieren durch die Lande streifen konnte.

Der nächste Teil der Geschichte wird am 22.12.2023 veröffentlicht.

Admin - 11:36:32 @ Mythen, nordische Kultur, hellenische Kultur | Kommentar hinzufügen