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Blogpost aus Mora


2024-01-05

Epios und Artemis - Teil 5

1
Sie traf ihn ins linke Auge, es zerschmetternd. Epios wand sich vor Schmerz, einen Baum umreißend, während sein grelles Bellen dessen Brüdern vor Schreck Laub abschütteln ließ. Schmerz wuchs rasch zu rasender Wut und er stürzte sich auf Artemis, die tiefer in den Wald rannte, womit sie beide die Jäger und die Nymphen verließen. Diese brachten nicht den Mut auf, sich in einen göttlichen Zweikampf einzumischen. Rasch hatte Epios Artemis eingeholt, doch diese nannte man nicht umsonst eine Göttin der Jagd. Sie huschte wie ein Hirsch zwischen den Bäumen hindurch, kletterte wie ein Eichhörnchen ihre Stämme hoch und geradezu flog wie eine Nachtigall von Ast zu Ast, stetig einen Pfeil nach den anderen mitten in ihren eleganten Bewegungen abfeuernd. Die allermeisten ihrer Schüsse verfehlten Epios, denn er wusste selbst den Wald als Deckung zu nutzen. Zudem stachen ihre Treffer nur wie von Speeren, viel schwächer als Vidars, die mit der Wucht einer Balliste einschlugen. Doch dafür gelang es ihm nicht, Artemis zu fassen zu bekommen. Wann immer er glaubte, sie endlich zu haben, entging sie im letzten Moment seinem Biss, sodass er seine Zähne in einen Stamm rammte stattdessen. Dies frustrierte ihn und die Jagd wurde gehetzter, wobei das Weiß seines Fells sich schwärzte. Letztendlich gelang es Epios, seine Unfähigkeit, sie zu fassen, umzumünzen, indem er einmal nicht seine Zähne aus dem Baum herausriss, denn er aus Versehen anstellte der Göttin erwischte. Stattdessen packte er den Baum mit seinem Gebiss fester und entwurzelte ihn, um ihn wie einen riesigen Schlagstock gegen die noch in der Luft hängende Artemis zu schlagen. Auf diesen überraschenden, weiten Schwung war die Göttin nicht vorbereitet und er erwischte sie mit ganzer Wucht. Sie wurde durch den Wald geschleudert, wobei sie wie ein Katapultgeschoss die Stämme mehrerer Bäume durchschlug, bevor der Stamm eines besonders alten und prächtigen Baumes ihren Flug unsanft beendete. Ihre Sinne hatten sich gerade erst wieder gesammelt, da stürzte sich Epios auf sie mit weit aufgerissenem Maul.
2
Nur im allerletzten Moment gelang es Artemis, ihren Bogen zwischen seinen Zahnreihen einzuklemmen. Obwohl dieser so dünn war wie ein Zahnstocher im Mund eines Menschen, hielt er den enormen Druck stand, denn er war aus dem Holz einer heiligen Eiche angefertigt worden. Der nun vollends schwarze Wolf konnte nicht zubeißen und das sich in sein Zahnfleisch bohrende Holz ließ ihn immer wilder werden. Doch auch Artemis steckte fest, denn sie konnte nicht ihren Bogen loslassen, denn er wäre vermutlich im Rachen des Wolfes verschwunden. So rangen die beiden miteinander, durch ein Patt aneinandergefesselt. Niemand gab nach und so taumelten, fast schon tanzten sie durch den Wald. Sie wurden nacheinander sowohl von Aktaion und den Jägern sowie von den Nymphen gefunden, die trotz aller Vorsicht und Furcht nach ihnen sehen wollten. Sich davon versichern, dass Wolf und Göttin relativ wohlauf waren, entschlossen beide Seiten, besser sich nicht einzumischen und stattdessen sich für die Rast vorzubereiten, denn die Nacht brach ein.
3
Der Tanz ging unter den Sternen weiter und letztendlich kam die Sonne wieder hervor. Zwar stellte eine durchkämpfte Nacht für zwei Götter nichts Anstrengendes dar, doch die gesamte Absurdität der Situation zerrte an ihrer gemeinsamen Geduld. Letztendlich riss Artemis’ ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogener Geduldsfaden und sie schrie den Wolf an, fragend, warum er nicht stirbt. Worauf der Wolf mit dem Bogen in Maul knurrte, dass er einer Göttin, einem der grässlichsten Wesen, welches in allen Welten existierte, nicht diesen Gefallen tun würde. Worauf Artemis lachte, denn solch eine Beleidigung klang ironisch, wenn sie von einer wilden Bestie kam. Doch der Wolf lachte dann selbst, obwohl sich dabei der Bogen noch tiefer in sein Maul bohrte. Er fragte, ob nicht eine Frau, die einen Mann nur wegen einer peinlichen Situation verflucht und ihn dem Tode nahebrachte, nicht die Wildere von ihnen beide sei. Erneut beharrte die Göttin der Jagd, dass sie im gerechten Zorn gehandelt hatte, was ihr nur ein Schnaufen von dem Wolf einbrachte. Er wollte von ihr wissen, was für eine Rechtfertigung dies sein soll. Ihre Scham rechtfertigte es also, einen Mann von seinen eigenen Hunden zerreißen zu lassen? So wie die Angst der Götter es erlaubte, einen Unschuldigen zu quälen und zu binden?
Dies ließ Artemis verstummen, nicht nur, weil sie nicht ganz verstand, was er mit dem letzten Satz meinte. Es war auch nicht nur der Sinn hinter seinen Worten, denn diesen gegenüber hätte sich ihr Verstand vermutlich gesperrt. Wenn da nicht das verbliebende Auge des Wolfes gewesen wäre. Wie Aktaion zuvor konnte sie durch jenes direkt in die Seele des Wolfes blicken und so mehr sehen, als nur wilden Zorn. Sie las Schmerz, Abscheu und Furcht. Und sie war der Auslöser für diese Gefühle. Eine überraschende Frage keimte in ihr auf und sie wollte von dem Wolf wissen, was er in ihren Augen sah. Worauf dieser antwortete, dass er Schmerz und Wut las. Vielleicht auch ein Funken Scham, doch darauf wollte er nicht schwören. Seine Stimme war ruhiger geworden. Sie beide verharrten, ohne es zu beabsichtigen, an Ort und Stelle. Artemis spürte auch in sich selbst die Wut schwinden. Sie sah sich immer noch im Recht, doch ihr Verlangen, jenes einzufordern, starb ab, sodass sie dem Wolf anbot, einen weiteren Schwur abzulegen, wenn er einverstanden war, den Kampf zu beenden. Der Wolf stimmte zu und Artemis zog ihren Bogen aus seinem Maul. Daraufhin trennten sich ihre Wege.
4
Aber nicht für immer, denn eine kleine Weile später kreuzten sich ihre Wege wieder, als der wieder weißfellige Epios seinen Freund Aktaion auf eine weitere Jagd begleitete. Verständlicherweise geriet der junge Halbgott in Panik und wollte wissen, warum die Göttin hier war und was sie wollte, denn er hatte sich seit ihrem letzten Treffen weit von der Lichtung mit ihrer Grotte ferngehalten. Artemis versicherte ihm und den anderen Jägern zwar, dass sie keine zornige Absicht hegte und dieses Treffen rein zufällig war. Da sie aber mehr eine Göttin der Jagd als des Theaters war, war den allermeisten offensichtlich, dass sie flunkerte. Vor allem, als sie meinte, wenn man sich schon sah, könnte sie doch etwas mit dem Wolf reden, denn sie hätte ein paar Fragen zu stellen. Epios stimmte zu, sehr zum Missfallen seines Freundes Aktaion, der ihm ins Ohr fragend flüsterte, warum er sich auf jene Göttin einlassen wollte, die ihm ein Auge ausgeschossen hatte. Der Grund des Wolfes war simpel: Seine Faszination war gelockt worden.
5
So kamen Wolf und Göttin auf einer Lichtung allein zur Ruhe. Er legte sich auf den Bauch, während sie sich mit einem Baumstumpf begnügte. Anfangs sahen sie sich nur an, unsicher, wer welches Wort zuerst ergreifen sollte. Letztendlich öffnete Artemis den Mund und sie fragte Epios, ob er wahrhaftig der Fenriswolf sei, jene Bestie, die eines Tages für das Ende der Nordlanden mitverantwortlich sein würde. Er bejahte es, wenn auch er ungern diese fremde Bezeichnung hörte. Von da erfragte die Göttin seine Lebensgeschichte, welche er zuerst etwas widerwillig, dann fließender ihr über mehrere Treffen erzählte. Im Gegenzug beantwortete Artemis seine Fragen über sie selbst. Sie erzählte ihm von Olymp, wo die Götter der Hellenen ihren Sitz hatten und ihre wilde Gelage feierten, wenn sie sich nicht gerade der Belange der Sterblichen annahmen. Anfangs beschränkte Artemis sich mehr auf das Berichten, doch sie begann, in Epios einen Seelenverwandten, eine Art Leidgenossen zu sehen. Deshalb öffnete sie sich und klagte ihm sein Leid. Denn sie sah eine gewisse Parallele zwischen sich und ihm. Dies verstand Epios nicht sofort, weshalb sie ausführlicher wurde: Er war ein Wolf, dessen Freiheit von den Göttern Asgard nicht geduldet wurde, weil sie ihn fürchteten. Sie hingegen war eine Göttin, deren Wunsch danach, mit ihren Nymphen-Freundinnen im Frieden durch den Wald zu ziehen und der Jagd zu frönen, sowohl von Göttern als auch von männlichen Sterblichen missachtet wurden, weil sie nach ihrem jungfräulichen Körper lüsterten. Und wenn sie nicht von Lust getrieben wurden, dann von Neid, so wie es mit ihrem Zwillingsbruder Apollo passiert war, denn dieser hatte sie dazu überlistet, versehentlich ihren eigenen Freund Orion zu erschießen.

Der nächste Teil der Geschichte wird schon morgen, am 6. Januar 2024, veröffentlicht.

Admin - 11:06:03 @ Mythen, nordische Kultur, hellenische Kultur | Kommentar hinzufügen