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Neues aus Mora





 

Blogpost aus Mora


2024-06-07

Eine kleine Interpretation der Mythen über die Kinder Lokis - Teil 3

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Zuletzt soll der wohl wichtigste Unterschied zu dem alten Mythos untersucht werden: das Ergebnis des finalen Kampfes zwischen Hiti und Thor. Welches sich nicht nur dadurch auszeichnet, dass Hiti gewann, sondern auch, dass beide den Kampf überlebten, also das komplette Gegenteil des prophezeiten Ausganges. Dies ist deshalb so bedeutend, weil dieser Ausgang anders als der ursprüngliche Ragnarök-Mythos nicht einen Neuanfang durch Zerstörung, sondern durch ein Fortschreiten durch Wandel ausdrückt. Denn von den Göttern stirbt am Ende des Mythos niemand. Sowohl Hiti als auch Thor leben weiter und mit ihnen das, was sie verkörpern. Was genau das spiegeln könnte, was im Laufe des Zeitalters des Erwachens passierte: Neue Werte erblühten und begannen, die bestehenden Wertesysteme zu hinterfragen, was zu Konflikten führte. Der wohl wichtigste dürfte der Angriff auf den Herrschaftsanspruch der Könige sein, die sich selbst zumeist auf religiöse Autorität beriefen. Gerade dieser Wertekonflikt zwischen dem neuen Denken und der alten Tradition verlief zumeist leider blutig und beide Lager versuchten, die anderen Gedanken auszulöschen. Während Traditionalisten auf der eine Seite versuchten, jede Änderung als Götterlästerung oder als Angriff auf alles, was gut und recht ist, zu verunglimpfen, wüteten auf der anderen radikale Denkrichtungen wie zum Beispiel der Kommunismus*1, die alle alten Herrschaftsstrukturen restlos beseitigen wollten, um Platz für eine neue Ordnung zu schaffen. Letztendlich führte dieser Konflikt aber dahin, dass das Neue sich mit den Alten verband und es voranbrachte. Natürlich ist der vorausgeschriebene Satz eine starke Versimpelung, denn auch wenn dieser Werte-Konflikt über den ganzen Kontinent Mora und zum Teil über dessen Grenzen hinweg stattfand, so gab es große Unterschiede darin, was in den einzelnen Kulturen und Ländern geschah. So manche Nation tötete ihre Königsfamilie in einer Revolution, während in anderen Ländern sie solch einem Schicksal entgehen konnte. Wie zum Beispiel in meinem Heimatland Wendel, als während der Revolution der amtierende König Coel der Dritte von Revolutionären auf dem elektrischen Stuhl*2 hingerichtet wurde, ein Schicksal, dem glücklicherweise sein Bruder und Nachfolger König Mogon der Erste entging*3. Wie viele andere Länder beging Wendel glücklicherweise den Mittelweg hin zur konstitutionellen Monarchie. Hin zu einer Demokratie, in der der König immer noch das oberste Oberhaupt ist, seine Macht aber von Verfassung und Parlament begrenzt wird. Und anstatt sein Amt einfach von den Göttern auferlegt zu bekommen – ein König der Götter Wohlwollens –, musste der den Rückhalt des Volkes haben, welches ihn abwählen konnte und über seinen Nachfolger entschied – ein König des Volkes Wunsches*4.
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Thor als Gott könnte eine Figur sein, die das widerspiegelt. Denn der Donnergott hat sich in Laufe der Geschichte sehr gewandelt, was seiner Darstellung anging*5.  In der Antike bis in die frühe Ritterzeit hinein wurde er zumeist in der einfachen Kleidung eines Nordmannes dargestellt, der im kalten Wind und Wetter seinem Tagewerk nachging oder reiste. Zwar trug er durchaus Rüstzeug in Form eines Helmes oder eines Kettenhemdes, wie ein Nordmann, der zu einem Raubzug aufbrach oder sich rüstete, um einen solchen abzuwehren, doch nie in den Ausmaßen eines professionellen Soldaten. Dies änderte sich mit dem Beginn der Ritterzeit, als sich im Norden Moras das Feudalsystem durchsetzte und die Klasse der Ritter, die des gerüsteten Adligen, sich etablierte. Mit dieser Etablierung wandelte sich die Darstellung Thors, nun zumeist in schwerer Rüstung und mit den Jahrhunderten wich das simple Kettenhemd der Plattenrüstung. Zudem wich der von Böcken gezogene Wagen dem Pferd, so wie die Kavallerie den Streitwagen obsolet machte. Auch wenn Thor weiterhin von den einfachen Leuten als Beschützer und als Gott der Fruchtbarkeit verehrt wurde, so nahm er für den Schwert schwingenden Adligen die Gestalt eines Kriegsgottes an, der nicht nur beschützt, sondern auch erobert. Hierbei könnte es sich zudem um eine kulturelle Bemühung handeln, ein Gegenstück zu den hellenischen Göttern Ares und Athene – zwei Götter, die Aspekte der Kriegskunst verkörpern – zu haben, die von den stehenden Armeen des Hellenischen Großreiches verehrt wurden*6. Erst mit dem Beginn des Zeitalters der Aufklärung schwand die Plattenrüstung und Thor wurde wieder wie ein Abenteurer dargestellt, der umherzog, immer dahin, wo er und sein Hammer gebraucht werden*7.
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Ergo, Thor wurde zurechtgewiesen, aber nicht getötet oder entehrt. Ihm wird auch heute dieselbe Hochachtung gebracht wie Hiti. So wie wir als Gesellschaft immer noch den König hochleben lassen, aber auf unsere Verfassung pochen.

*1 Eine politische Bewegung, die in Wendel zum Anfang des Vierten Jahrhunderts der Allianz während der Revolution aufkam und unteranderem darauf abzielte, die Monarchie abzuschaffen und sie durch eine „klassenlose“ Gesellschaft zu ersetzen. Nach dem folgenden 3. Kemetischen Krieg hatte diese Ideologie noch Einfluss, vor allem in dem vom Krieg verwüsteten Wendel, schwindet aber unter der Blüte des aufkeimenden Wohlstandes der neuerstarkten Allianz dahin, sodass sie hundert Jahre später, in der heutigen Zeit, nur noch eine Ideologie am Rande darstellt, dem gemeinen Bürger unbekannt. Mehr können Sie im folgenden Buch lesen: Watson, 410, Der Traum des verzweifelten Arbeiters
*2 Um Verwirrungen vorzubeugen: Hier ist von einem Hinrichtungsinstrument namens Thors Urteil die Rede, welches von einem Blitzmagier angetrieben wurde. Elektrizität wurde in diese Zeit von Forschern gerade erst langsam als Naturkraft verstanden und fand sich noch weit von einer praktischen Nutzung entfernt.
*3 Mögen die Wallküren sie beide in Walhall beglücken.
*4 vgl. Müller, 419, Von Königen und Abgeordneten
*5 Die trifft allerdings auf viele Götter zu. Es war vor der Antike bis in die Ritterzeit hinein üblich, dass die Darstellung von Göttern sich mit den Modevorstellungen und Rüstzeug der Kulturen wandelte. Dass die Götter mit ihrer Kleidung und Schmuck sowie ihrer Rüstung und Waffen in der Antike bzw. der Ritterzeit stehengeblieben sind, ist ein Phänomen der Moderne und ist Kunstrichtungen zu verdanken, die sich auf alte Zeiten zurückbesinnen wollten. Mehr darüber können Sie im folgenden Buch lesen: Zenitstein, 412, Das Bild der Götter im Wandel
*6 vgl. Zenitstein, 412, Das Bild der Götter im Wandel, S. 135
*7 Für mich persönlich drückt dieser Wandel das Gemälde „Der dem Himmel entrissene Gott“ von Linda Ruprecht aus: Es zeigt den geschlagenen Thor, niedergehalten von den Tieflingen und gezwungen, mit Hiti zu verhandeln. Er trägt dabei eine Plattenrüstung, die großenteils zerschmettert wurde. Allerdings muss ich darauf hinweisen, dass die Malerin sicher sich nicht des kulturellen Wandels um sich herum bewusst gewesen war und demnach nicht diese Metapher beabsichtigt hatte. Diese wird von mir hierhineingelegt und sollte nur als Veranschaulichung und nicht als Beweis angesehen werden.

Der nächste Teil der Interpretation wird in zwei Wochen, am 21. Juni 2024, veröffentlicht.

Admin - 10:10:40 @ Mythen, nordische Kultur, hellenische Kultur | Kommentar hinzufügen

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