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Blogpost aus Mora


2024-07-05

Eine kleine Interpretation der Mythen über die Kinder Lokis - Teil 5

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Die wichtigsten Unterschiede zu dem alten Mythos
Der Epios-Mythos unterscheidet sich viel gravierender von dem alten im Vergleich zu dem Hiti-Mythos schon allein dadurch, dass er Mythen zweier Pantheons miteinander vermengt. Und zwar auf eine Art und Weise, in der sie sich gegenseitig ergänzen. Natürlich hat es aber schon immer Mythen gegeben, in denen Götter verschiedener Kulturen miteinander agieren, vor allem da in vormodernen Zeiten die Grenzen zwischen den Mythenwelten fließend waren. Seit der Antike gibt es zum Beispiel in den Landen, welche später als das heutige Wendel vereint wurden, viele Mythen, in denen die Götter Asgard mit den heute weniger populären gallischen Göttern interagieren.*1 Doch der Epios-Mythos stach zum Anfang des Zeitalters des Erwachens zwischen ähnlichen Mythen hervor, denn in der Ritterzeit zuvor hatte sich seine Tradition zwischen rivalisierenden hellenischen und nordischen Kulten entwickelt, in der in Erzählungen die Götter der anderen Seiten lächerlich gemacht wurden.  Indem er nicht darauf abzielte, eine Seite zugunsten der andere lächerlich zu machen.*2 Sondern stattdessen sie beide zugleich hochleben als auch tiefleben lässt, womit der Mythos sich seither nicht nur viele Liebhaber, sondern auch Hasshaber für sich gewonnen hatte. Während er mit den anderen Mythen über die Kinder Lokis heutzutage im nordischen Raum Moras Teil des geläufigen Kanons ist, so gibt es im südlichen Raum, vor allem in den Herzlanden des Hellenischen Großreichen, äußerst einflussreiche Kulten, die vor allem den Epios-Mythos aus Gründen ablehnen, auf die ich gleich zu sprechen komme.
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Zuallererst will ich mich nun aber auf Epios konzentrieren und wie sich seine Rolle, von der in den alten Variationen des Mythos unterscheidet. Wie schon bei seinem Bruder ist der größte Unterschied, dass er einen Namen hat und eine Person ist, anstatt einfach nur der Fenriswolf zu sein.*3  Allerdings muss berücksichtigt werden, dass der Fenriswolf bereits in den alten Variationen des Mythos mehr selbstbewusste Eigeninitiative zeigte. Denn eines die erhaltenden Elemente in der neueren Variante ist die Art und Weise, wie die Götter Asgards den Wolf in Ketten legen. Denn in beiden Varianten werden die Ketten von den Zwergen geschmiedet und der Wolf durch Spott dazu bewegt, sie sich anlegen zu lassen. Wie in den alten Variationen gelingt es Epios in den neueren, die ersten Ketten, geschmiedet aus List und Hemmung, zu sprengen, während die folgenden, geschmiedet aus den Dingen, die es nicht gibt, ihn bändigen. Jedoch unterscheidet sich die alte und die neue Variante des Mythos stark darin, wie das Verhalten der Götter Asgards dargestellt wird. In den alten Variationen wird der Fenriswolf als eine wilde Bestie umschrieben, die die Götter in Todesangst versetzte, womit ihr harsches Verhalten gerechtfertigt wurde. In den neueren hingegen quälen die Götter, die Walküren und die gefallenen Krieger Epios, selbst wenn dieser nur ein wehrloser Welpe war, sodass es verständlich ist, dass er eine animalische Wildheit als Schutz gegen dieses Quälen an den Tag legte. Dies könnte auch erklären, warum die Umstände, unter denen der Kriegsgott Tyr seine Hand verliert, sich so stark unterscheiden. In den alten Variationen geschieht dies, weil er ihn als Pfand ins Maul des Fenriswolfes legte, weil dieser eine List hinter den neuen Ketten vermutete und dementsprechend zubiss, als seine Befürchtung sich bewahrheitete. In der neueren hingegen beißt Epios Tyr die Hand vor Wut ab, nachdem man ihm die Ketten angelegt hatte. Eine ursprünglich selbstlose Tat, mit der Tyr die anderen Götter Asgards vor den wilden Fenriswolf schützte, wurde in eine gerechte Strafe für Tyrs Beteiligung an dem Quälen Epios’ umgewandelt.
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Von einem Täter, der durch eine List bis zum Kommen Ragnaröks gebannt wurde, wandelte sich Epios zu einem Opfer, dem es letztendlich dank seines Vaters Loki gelang, seine Ketten zu sprengen und zu fliehen. Dies stellt seine erste Rebellion dar, gerichtet gegen die Götter Asgards. Seine zweite sollte sich als ein Angriff auf die hellenischen Götter erweisen, mit dem alten Kanon als Ziel. Meine Leser sind sicher mit dem Prometheus-Krieg vertraut, dem Vorspiel des Ersten Kemetischen Krieges. Trotzdem erlaube ich mir, einen kurzen Abriss zu geben, mit den für diese Interpretation wichtigsten Punkten: In dem letzten Jahrhundert vor der Gründung der Allianz – ergo inmitten der Ritterzeit – hatte das Hellenische Großreich seine bis heute unübertroffene, größte Ausbreitung: Von der Hesperianischen Halbinsel im Osten hin bis zu dem Babylonische Zweistromland umfasste es die Gesamtheit des Südens Moras und kontrollierte die gesamte Küstenlinie des Glühenden Meeres, nachdem es die Ländereien seiner ehemaligen Rivalen – wie unteranderem die Remische Republik, das Karchedonische Reich, das Königreich Kusch sowie die Salomonische Theokratie – einverleibt hatte. Doch diese gewaltige Ausdehnung drohte das Großreich zu zerreißen, denn die Armeen des Großkönig mussten stetig marschieren, um zum einen die Unruhen und Revolten in den unterworfenen Provinzen zu unterdrücken. Zum anderen mussten aber auch die Raubzüge und Feldzüge aus den nordischen Königreichen abgewehrt werden. Denn auch wenn diese Feudalheere sich nur aus einer kleinen, gut gerüsteten adligen Elite, umgeben von einem Mob von minder gerüsteten und ausgebildeten Bauern, zusammensetzte und damit von der Qualität her nicht an das professionelle, stehende Heer des Großreiches heranreichen konnte, so konnten sie dies durch Masse ausgleichen. Zumal das fortschrittliche militärische Wissen des Hellenischen Großreiches wegen des Anwerbens nordischer Söldner nach und nach in die nordischen Königreiche hineinblutete. Vor allem das Kiralikische Söldnerdom verstand sich darauf, Aspekte das hellenische Heerwesen zu adaptieren und sie mit den neuartigen Handrohren – die allersten in Mora geläufigen Feuerwaffen – zu kombinieren. Diese neuen Taktiken sollten sich später als entscheidend für den Kemetischen Krieg erweisen.*4

*1 Hier sollte angemerkt werden, dass die Einteilung der Götter in distinkte Pantheons ebenfalls eine moderne Praxis darstellt, die der theologischen Ordnung und Katalogisierung dient und mit der sich Kulten untereinander organisieren bzw. voneinander absetzen. Wie wir, sahen auch unsere Vorfahren die verschiedene Götterfamilie nicht voneinander getrennt an, sondern als Konkurrenten, die um die Verehrung der Sterblichen rangen. Mehr dazu können Sie im folgenden Buch lesen: Winkelstein, 408, Religionsgeschichte Nordmoras Band 1
*2 Ein Paradebeispiel sind die Mythen „Athene und der einäugige Narr“ und „Odin und das törichte Mädchen“, in denen diese beiden, mit Weisheit und List assoziierten Götter, sich in einen intellektuellen Wettstreit begeben. Deren Enden zeigen deutlich, wie harsch die Rivalität gewesen war und ich muss dem neugierigen Leser folgendes verraten, um ihn zu warnen: In der hellenischen Variante sticht die siegreiche Athene Odin mit ihrem Speer das verbleibe Auge aus, während Odin in der nordischen Variante das „törichte Mädchen“ vergewaltigt. Wobei wohlbemerkt diese Enden als gut und gerecht von ihrer jeweiligen Seite angesehen wurde, womit die verdrehte Moral der Zeit vor der Allianz wohl nicht deutlicher gezeigt werden könnte. vgl. Winkelstein, 410 Religionsgeschichte Nordmoras Band 8, S. 56f.
*3 Lückmarck hat die interessante Hypothese aufgestellt, dass der Fenriswolf wie die Midgardschlange in den alten Mythen Aspekte der Natur verkörpert. Während die Schlange die unüberwindbaren Kräfte in der Natur wie Sturm und Flut präsentiert, könnte der Wolf hingegen gefährliche, aber abwehrbare Kräfte der Natur wie wilde Tiere oder das Wetter darstellen. Die Ketten wiederum könnte damit die Bemühungen des Menschen sein, diese Kräfte zu zähmen, indem er wilde Tiere davonjagt und Behausungen zum Schutz errichtet. Dass die Natur aber in einem Moment der Schwäche sich wieder alles zurücknehmen kann, was ihr abgerungen wurde, könnte damit in dem prophezeiten Brechen der Ketten gespiegelt sein. Mehr kann man in seinem Buch lesen: Lückmarck, 414, Die Jungfrau und der Jungwolf
*4 vgl. Liakos, 406, Ein verbindender Austausch, S. 66-89

Der nächste Teil der Interpretation wird in zwei Wochen, am 19. Juli 2024, veröffentlicht.

Admin - 10:57:32 @ Mythen, nordische Kultur, hellenische Kultur | Kommentar hinzufügen

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