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Neues aus Mora





 

Blogpost aus Mora


2024-08-02

Eine kleine Interpretation der Mythen über die Kinder Lokis - Teil 7

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Wie aber diese Emanzipation der beiden Göttinnen selbst zustande kam, gefiel nicht allen Urfeministen des Hellenischen Großreiches. Es gab radikale Strömungen, denen es sehr missfiel, dass diese Emanzipation durch das Einlassen auf einen Mann beziehungsweise eines Wolfes erfolgte. Während diese Urfeministen durchaus begrüßten, dass mit der Entwertung der Jungfräulichkeit ein patriarchalisches Ideal zerschlagen wurde, so warfen sie der heutigen populären Variante des „Prometheus und Athene“-Mythos vor, dafür das patriarchalische Ideal der Ehe zu propagieren, welche letztendlich ebenfalls nur zur Ankettung der Frau an den Mannen dienen würde. Deswegen existierten eine Zeitlang alternative, neuartige Varianten des Mythos, in denen Prometheus’ Taten zugunsten von Athenes herabgewürdigt wurde. Unteranderem, indem sein Formen des menschlichen Körpers aus Lehm als ein grobschlächtiges Werk bezeichnet wurde, welches kaum mehr als ein animalisches Werk geblieben wäre, wenn Athene ihm nicht den Verstand eingehaucht hätte. Wenig überraschend wurde auch die Ehe zwischen der Olympierin und dem Titanen und damit auch die Existenz ihrer gemeinsame Tochter Faskane geleugnet.*1
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Während die Uminterpretation von Athene für diese radikalen Urfeministen bereits ein Dorn im Auge war, so erzürnte die neue Rolle Artemis im Epios-Mythos sie gewaltig. Denn bereits bevor sich der in den Prometheus-Krieg mündenden Umsturz lostrat, galt Artemis als eine Ikone für so manche Urfeministin. Als eine Göttin, die lieber mit ihrem Gefolge an Nymphen durch die Wälder strich, anstatt sich auf die Machtspiele der Olympier, ergo der Männer, einzulassen. So manche Denkerin schrieb der Göttin sogar zu, eine Liebhaberin von Frauen zu sein und mit ihren Gefolgsfrauen so viel zu verkehren, dass sie Aphrodites Wollust gleichkam. Dadurch wurde Artemis zu einem radikal feministischen Ideal geformt, nach welchem jede Frau nicht die Gesellschaft eines Mannes, sondern nur die anderer Frauen braucht. Um zu begründen, warum diese Art des Lebens für Frauen besser sein soll, wurden dieselbe zwei Mythen über Artemis herangezogen, die auch im Epios-Mythos eine wichtige Rolle spielen. Zum einen der über Kallisto, die von Zeus vergewaltigt wurde, welche für die Urfeministen Beweis für die hemmungslose und gnadenlose Wollust aller Männer aufzeigt. Unter demselben Gesichtspunkt wurde zu anderem auch der Mythos mit Aktaion herangezogen, wobei die radikalen Urfeministen Variationen heranzogen, laut denen es kein Versehen des halbgöttlichen Jägers war, als er die badende Artemis vorfand. Vielmehr soll er die Absicht gehegt haben, sich an die Göttin heranzumachen, weshalb sie ihn in Selbstverteidigung verfluchte.*2
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Vielen moderaten Urfeministen behagte diese Neuinterpretationen nicht, denn letztendlich würde dieselben „verdorbenen“ Werte des Patriachat ausgedrückt, versteckt unter einer feministischen Maske. Denn was die radikalen Urfeministen unter den Tisch fallenließen, war, dass zwar Zeus Kallisto vergewaltigte, aber Artemis sie verstieß, weil die Nymphe wegen des Verlustes ihrer Jungfräulichkeit nicht mehr rein genug war, um sich in der Gesellschaft der Göttin aufhalten zu dürfen. Oder wenn Artemis Aktaion wegen eines versehentlichen Schauens in einen Hirsch verwandelte und so im alten Kanon sein Todesurteil unterschreibt, in jenem Jähzorn agiert, wie er für die Götter des Olymps typisch ist. Denn in einer Sache standen die göttlichen Frauen den unsterblichen Männern nicht nach: das zügellose Missbrauchen ihrer Macht, um alles zu vernichten, was sie erzürnte.
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Während nun also die radikalen Urfeministen versuchten, die weiblichen hellenischen Götter als perfekte Wesen darzustellen, kritisierten die moderaten die unsterblichen Frauen wie die göttlichen Männer. Denn wie kann die Frau dem Mann gleichgestellt sein, wenn sie nicht am selben Maßstab gemessen wurde? Dementsprechend gewannen Mythen an Beliebtheit, welche die Göttinnen anklagte. Der wichtigste stellt hierbei jener dar, in dem Athene für eine ihrer Untaten geradestehen musste. Denn selbst die sonst stoische Göttin der Weisheit hatte ihre Momente der zornigen Schwäche. Wie zum Beispiel den einen, in dem sie, nachdem die talentierte Weberin Arachne sie in einem Wettstreit mit einem perfekten Wandteppich übertrumpfte, als schlechte Verliererin die Sterbliche in eine Spinne verwandelte. Eine ungerechte Tat, die sie später dadurch wiedergutmachte, indem sie nicht nur den Fluch in einen Segen wandelte und so Arachne die Fähigkeit gab, sich frei zu verwandeln, sondern auch die Sterbliche auf den Rang der Göttin der Webkunst erhob.*3
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Ähnliche Mythen über Artemis vermischten sich zum Beginn des Zeitalters des Erwachens mit dem nordischen Mythos des Fenriswolfes, so den heutigen „Epios und Artemis“-Mythos bildend. Wodurch Artemis wie Athene noch mit einem weiteren moderat feministischen Motiv verbunden wurden: das der Mutterschaft. Während die radikalen Urfeministen ebenfalls das Ideal der Mutterschaft als ein unterdrückendes ablehnte, so warfen die moderaten ihnen erneut vor, in Wahrheit eine auf den Kopf gestellte Ansicht des Patriachat zu propagieren. Denn die radikalen Urfeministen sahen generell Kinder als etwas an, was die Frau ans Heim kettete und sie davon abhielt, ihr Leben so zu leben, wie sie wollte. Nur wenn sie sich weigerte, eine Mutter zu werden, könnte sie frei sein. Doch die moderaten Urfeministen erkannten, dass dies dieselbe verkorkste Logik wie hinter der Jungfräulichkeit war. Denn so wie Mann im althellenischen Denken frei herumbumsen konnte, ohne dass sein Lebenswerk infrage gestellt wurde, so konnte er ein Vater sein, ohne dass es seine Fähigkeit als Soldat, Künstler oder Priester infrage gestellt wurde. Wenn Frauen ihren Tätigkeiten nur nachgehen konnten, indem sie sich Geschlechtsverkehr und den eigenen Nachwuchs versagten, so waren sie den Männern nicht gleichgestellt. Nur indem sie Mütter und Soldatinnen, Künstlerinnen oder Priesterinnen sein konnten, haben sie dieselbe Freiheit wie Männer. Deshalb ist es wichtig, dass Artemis sich nicht nur ihrer Liebe zu Epios hingab, sondern auch mit ihm zwei Söhne bekam, ohne dass ihre Rolle als die Göttin der Jagd beeinträchtigt wurde.*4
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Womit wir sogleich einen Bogen zu den Zwillingssöhnen Skalli und Hati geschlagen hätten. In den alten Varianten des Mythos sind die Zwillinge die Söhne des Fenriswolfes und der Riesin Gyge*5 und haben, wie ihr Vater, eine wölfische Gestalt. Dass sie stattdessen menschliche Gestalt haben und wie ein Wolfmann und ein Katermann anmuten sind Details, die erst in neuen Variationen auftauchen. Wie bei den Tieflingen im Hiti-Mythos aber wurde bereits den rein animalischen Söhnen des Fenriswolfes nachgesagt, die Stammväter der Wolfsmenschen und ähnlichen Hybridmenschen zu sein*6, was bis in die späte Ritterzeit hinein dementsprechend als Begründung für Diskriminierung jener genutzt wurde, bis zum Beginn des Zeitalters des Erwachens die Uminterpretation stattfand, indem nicht nur der Vater Epios in einen viel besseren Licht gesehen wurden, sondern auch noch das Blut einer edlen Göttin wie Artemis ins Spiel kam.*7 Eine weitere wichtige Änderung ist, wie die Zwillingssöhne ihrer Rolle als Jäger von Sonne und Mond nachkamen. Laut der alten Variante werden sie vom Hunger angetrieben und wollen die Himmelsgestirne mitsamt ihren Beschützern Sol und dessen Bruder Mani verschlingen, was ihnen letztendlich während Ragnarök gelingt. Diese Jagd ist immer noch in der neuen Variation enthalten, hat aber nun einen wesentlich fröhlicheren und humoristischeren Ausgang, weil die Brüder es wegen eines harmlosen Streites tun und sich sogar mit den himmlischen Göttern anfreunden. Letzteres ist auch deshalb interessant, weil es sich hierbei um zwei Götter von Asgard handelt, womit diese Freundschaft das Einverständnis zwischen alt und neu symbolisieren könnte.
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Ebenfalls interessant, wie geradezu beiläufig die Sonnenfinsternis hier erwähnt wird. Dem heutigen Leser mag es nicht sonderlich komisch vorkommen, doch einen vormodernen Zuhörer hätte die Erwähnung einer Sonnenfinsternis aufhorchen lassen, denn eine solche galt in vielen vormodernen Kulturen Moras als ein ungutes Zeichen, eine nahende Katastrophe ankündigend. So glaubten die Nordmänner einst, dass bei einer Sonnenfinsternis der verschlingende Skalli Sol und ihrem Sonnenwagen gefährlich nahekam. Hopfen hat diesbezüglich eine interessante Hypothese aufgestellt: Mit dem Beginn des Zeitalters des Erwachens verbreitete sich zunehmend das wissenschaftliche Denken, nicht nur unter den höheren Schichten, denen allein einst der Zugang zu Gelehrsamkeit offenstand, sondern auch bei den einfachen Leuten. Man begann, die Welt nicht mehr allein als ein Spielplatz der übernatürlichen Kräfte anzusehen, sondern als das Werk von Naturkräften, deren Wirken man durch Beobachtung und Experimentieren begreifen konnte. Viele Ereignisse wie Kometen oder eben halt Sonnenfinsternisse wurden zu begreifbaren Phänomenen, sodass sie sich von Akten göttlicher Gewalt zu faszinierenden Schauspielen der Natur wandelten. Diese neue Faszination könnte ebenfalls in diesem Mythos eine Rolle gespielt haben, weil die Sonnenfinsternis nicht der Vorbote eines Unglückes, sondern einfach das bezaubernde Ergebnis eines amüsanten Streites darstellt.*8
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Eine entscheidende Rolle spielt aber die Sonnenfinsternis, als Vidar im fälschlichen Glauben, dass Epios seinen Vater verschlungen hätte, den entscheidenden Zweikampf antrat. Welchen der Wolf dank dem kräftigen Eingreifen seiner Familie gewann, um dann, wie es auch sein Bruder Hiti es tat, sich von seinen Vater Loki dazu raten zu lassen, einen Frieden mit den Göttern Asgards zu schließen, sodass erneut eine Rebellion des Neuen gegen das Alte mit einem Verständnis endete.

*1 vgl. Fragkos, 420, Aus demütiger Gefangenschaft in die entschlossene Führung, S. 81-91
*2 Fairerweise muss hier erwähnt werden, dass es bereits im alten Kanon Variationen des Mythos existierten, laut denen der halbgöttliche Jäger Ungutes im Sinn hatte oder sich zumindest respektlos gegenüber der entblößten Göttin verhalten hatte, womit ihr Zorn gerechtfertigt wäre.  vgl. Fragkos, 415, Die wilde, göttliche Jungfrau aus dem Walde, S. 45-56
*3 vgl. Fragkos, 410, Am Fuße des Olymps, S.  27f.

*4 vgl. Poulos, 413, Tumulte des Urfeminismus“, S. 45ff.
*5 Über sie ist leider so gut wie gar nichts überliefern worden
*6 Welche Hybridmenschen genau diese Abstammung umfasst, variiert stark je nach Zeit und Ort im Norden Moras. So wie in der neueren Variation die Verwandlungskunst Lokis als Grund angegeben wurde, warum sein Enkel trotz wölfischen Vaters auf einmal Katerohren hat, so wurde zuvor diese als Grund angenommen, warum Hybridmenschen, die überhaupt nichts Wölfisches an sich haben, als die Nachkommen des bösartigen Fenriswolfes verunglimpft wurden. vgl. Winkelstein, 408, Ein kurzer Abriss der Religionsgeschichte Nordmoras – Band 1, S. 56f.

*7 Ähnliches fand auch im hellenischen Raum statt. Im neuen Kanon wird Aktaion als der edle Stammvater der Faune angesehen, der die von Artemis verliehene Verwandlungskunst an sie zu einem gewissen Teil weitervererbt hat. Zuvor wurden Faune ähnliche wie Satyrn als das Produkt einer Vergewaltigung von menschlichen Frauen durch Waldgeister der gleichen Bezeichnung, die sich durch animalische Wollust auszeichnen, gehalten und dementsprechend verunglimpft. vgl. Fragkos, 410, Am Fuße des Olympes, S. 18f.
*8 vgl. Hopfen, 411, Wenn der Mond die Sonne verschlingt, S. 171-192

Der nächste Teil der Interpretation wird in zwei Wochen, am 16. August 2024, veröffentlicht.

Admin - 10:17:15 @ Mythen, nordische Kultur, hellenische Kultur | Kommentar hinzufügen

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