2024-11-22
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Von allen Gefährtentieren in Mora gibt es zwei Spezies, die für den Menschen eine ganz besondere Position einnehmen: Hunde und Schneespinnen. Die meisten Leser werden hier bezüglich unserer bellenden Gefährten nicken und vielleicht von meinem Buch aufsehen, um lächelnd zu ihrem Hund hinüberzublicken. Und ihr bester Freund erwidert es dann mit einem Welpenblick. Worauf der Leser aufstehen wird, um den Lieben zu streicheln und ihm eine kleine Leckerei geben.
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Bezüglich Schneespinnen werden aber wohl die meisten Leser hingegen skeptischer sein. Die Chance ist hoch, dass die meisten von ihnen zwar von Schneespinnen gehört, aber noch nie eine mit eigenen Augen gesehen haben. Was nicht verwunderlich sind, denn während man Hunde in allen Ecken Moras und vermutlich sogar in allen Winkeln der Welt antreffen kann, so sind Schneespinnen, wie der Name es schon andeutet, allein im Norden Moras anzutreffen, in den eher kälteren Landen am Rand des Landes des Ewigen Chaos. Zwar gewannen Schneespinnen in den letzten Jahrzehnten eine kleine Popularität in den gemäßigten Gefilden in Mittelmora, aber auch dort sind sie eine aufsehenerregende Seltenheit.
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Allein dieser gewaltige Unterschied in der Häufigkeit lässt bei einem wohl starken Zweifel an meiner gewagten These aufkommen. Und eines muss ich vorwegnehmen: Was ich hier darlege, ist eine Hypothese, die zwar auf bekannten Fakten aufgebaut ist, aber selbst noch weitere Evidenz benötigt, um zur Theorie heranzureifen. Oder eben auch um endgültig widerlegt zu werden. Um zu erklären, warum ich aber sehr zuversichtlich bin bezüglich meiner Hypothese, will ich zuerst einen kurzen Abriss darüber geben, was den Hund so besonders macht: Er ist einer der ältesten Weggefährtentiere. Bereits zu den Anfängen der menschlichen Zivilisationen um das glühende Meer herum war er ein treuer Weggefährte des Menschen. Zwar trifft dies zu einem gewissen Grad auch auf Nutztiere wie Pferde oder Rinder zu, doch allein im Fall des Hundes hat man Höhlenmalereien gefunden, deren Interpretation auf eine Zusammenarbeit von Mensch und Hund weit vor Beginn der Zivilisation hindeutet, als unsere Vorfahren als nomadische Jäger und Sammler umherstreiften.
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Doch wieso ist dies von Belang? Nun, unter Naturforscher gibt es die Hypothese, dass der Hund nicht so wie andere Tiere gezähmt und domestiziert wurde. In dem Sinn, dass er nicht eingefangen und abgerichtet werden musste. Vielmehr vermutet man, dass jene Wölfe, die die Vorfahren der Hunde darstellten, auf den Menschen zukamen. Vermutlich angelockt von den Überresten der Jagdbeute, die von unseren Vorfahren am Rande des Lagers weggeworfen wurden. Anders als andere wilde Tiere reagierten diese Wölfe aber nicht immer mit Aggressivität oder Flucht, wenn der Mensch sie konfrontierte. Manche von ihnen verhielten sich unterwürfig, was bei den Menschen Zuneigung hervorgerufen haben könnte. Weshalb sie begannen, ihn zu füttern und ihn später bei sich aufzunehmen. Dieses Zusammenkommen wurde vermutlich dadurch ermöglicht, dass beide Spezies soziale Tiere sind. Die Gruppe des Menschen und das Rudel des Wolfes sind sozusagen zu einer einzelnen Hierarchie zusammengeschmolzen. Vielleicht könnte man sogar sagen, dass wir uns gegenseitig domestiziert haben, denn während wir Menschen einen treuen Gefährten gewannen, der uns bei der Jagd unterstützte, unser Lager bewachte oder uns einfach Gesellschaft am Lagerfeuer leistete, gewann der Wolf eine sichere Zuflucht, wo er vor den Elementen und vor Fressfeinden geschützt war und gefüttert wurde.
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Dass der Wolf also ein Rudeltier ist, welches sich in die Gesellschaftsordnung des Menschen einordnen konnte, könnte erklären, warum seine Domestizierung so früh erfolgen konnte. Zum Vergleich: Während die Domestizierung der Wildkatze zur Hauskatze zwar vermutlich später als der Hund, aber trotzdem relativ früh in Geschichte erfolgte, so erfolgte dasselbe mit den größeren Raubkatzenarten wie dem Löwen oder dem Luchs erst relativ spät. Zwar gab es bereits in der Antike gezähmte Löwen, doch die stellten mehr die Ausnahme am Königshof dar, das allein als Prestigeobjekt diente. Ernsthafte Bemühungen, Löwen zu domestizieren und sie zum Beispiel im Kampf einzusetzen, kamen erst im Hellenischen Großreich zur frühen Ritterzeit auf. Und es erwies sich wegen vieler Faktoren als äußert schwierig, sodass es nur wenige gezähmte Arten von Großkatzen gibt, von denen wiederum nur eine Handvoll sich als Weggefährten eignen. Einen dieser Faktoren sehe ich darin, dass Katzen, wenn man von Ausnahmen wie Löwen absieht, generell einzelgängerische Tiere sind, die nur zur Paarung oder für den Kampf um Territorium mit Artgenossen zusammenkommen. Denn genau dies teilen sie mit anderen Spezies, die sich schwer domestizieren ließen und das Ergebnis zumeist allein in Haustieren mündete. Bei Hunden hingegen sind alle Arten Weggefährten. Wenn Sie mit einem Hund in ein Restaurant gehen, wird niemand mit der Wimper zucken. Sollten Sie hingegen von einer Riesenechse begleitet werden, so wird man sie nach dem Ausweis fragen, um sicher zu gehen, dass Ihre Echse die soziale Norm begriff, dass man nicht die Küche plündern darf.
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Genau hier kann ich den Bogen zur Schneespinne schlagen, denn alle domestizierten Schneespinnen sind ebenfalls Weggefährte. Und dies führe ich darauf zurück, dass sie zu den wenigen Riesenspinnenarten gehören, die Spindel genannte Gruppen bilden und damit ein Sozialverhalten nicht unähnlich dem der Wölfe haben. Deshalb mutmaße ich, dass Schneespinnen ebenso wie Wölfe auf die frühen Nordmänner zu gekrabbelt sind und deren Sozialverhalten mit dem ihren verschmolz, anstatt dass sie bewusst domestiziert werden mussten. Dafür würde auch sprechen, dass dieses Zusammenkommen ihre Körperform verändert hat. Für jeden Laien ist es möglich, den Hund von seinem wilden Verwandten, dem Wolf, mit einem Blick zu unterscheiden. Dies ist bei der domestizierten Schneespinne gleichfalls möglich, auch wenn man einen genaueren Blick werfen muss. Ich beschränke mich hierbei auf die drei auffälligsten Merkmale.
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Zum einen die Fellfarben. Wilde Schneespinnen sind allein im Winter weiß, um mit der Schneelandschaft zu verschmelzen. Ansonsten hat ihr Fell dem Rest des Jahres über eine graubraune Färbung. Die bunte Färbung, für die die Männchen bekannt sind, kommt hingegen bei den wilden Spinnen nur im Herbst zum Beginn der Paarungszeit vor. Dies dürfte die meisten Leser sicher überraschen, denn Schneespinne sind dort gerade wegen ihres strahlend weißen Fells bei den Weibchen und dem kunterbunten Fell bei den Männchen bekannt. Und dies ist auch richtig: Die domestizierten Schneespinnen behalten ihre Fellfarbe das ganze Jahr über. Zudem ist ihr weißes Fall viel heller und strahlender, während bei den Männchen eine größere Auswahl an Mustern existieren.
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Zum anderen wären da die acht Augen, die bei den domestizierten Schneespinne größer, klarer und röter sind als bei ihren wilden Verwandten. Und sie blinzeln viel öfter. Während bei den wilden Spinnen das Blinzeln allein dem Schutz und der Säuberung der Augen dient, so nutzen die Hausspinnen das Blinzeln auch zur Kommunikation mit dem Menschen.
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Ähnlich ist es so auch bei den Kieferklauen. Die sind bei den Hausspinnen abgerundeter und mit weniger scharfen Zähnen versetzt als bei ihren wilden Verwandten. Damit können sie schlechter reißen, dafür wirken aber die Kieferklauen weniger furchteinflößend auf den Menschen. Tatsächlich nehmen die meisten Besitzer von Schneespinnen diese kleinen Beißerchen als niedlich wahr. Und dies nutzen die Schneespinnen auch schamlos aus: Immer, wenn sie betteln, klappern sie mit ihren Kieferklauen. Ebenfalls eine Verhaltensweise, die man so nicht bei wilden Schneespinnen vorfindet. Generell sind Hausspinnen auch viel verbaler als ihre wilden Verwandten, vor allem dem Menschen gegenüber. Während die häusliche Schneepinne die ganze Zeit quietscht, so nutzen wilde Schneespinnen Laute nur zur Kommunikation über großen Distanzen, so ähnlich wie das Geheul der Wölfe. Nahe beieinander hingegen werden Regungen und Haltungen genutzt.
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Der geneigte Leser wird nun aber fragen, ob dies nicht einfach das Ergebnis gezielter Züchtungen sein könnte. Dies ist nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen. Denn auch wenn ich dafür argumentieren würde, dass diese Merkmale wegen einer Anpassung der Spinne an den Menschen, so wie der Wolf es tat, also in einem evolutionären Prozess entstanden sind, so wird die Spinne wie der Hund auch einer gezielte Selektion durch den Mensch ausgesetzt gewesen sein. Ich kann keine harte Evidenz dagegen liefern, dass die heutige Schneespinne gezielt gezüchtet wurde, so wie man schnelle Pferde gezielt gezüchtet hat. Daran krankt aber auch die Hypothese über die Entwicklung des Hundes. Zumal ja, wenn der Mensch eingreift, er nur gezielt natürliche Prozesse manipuliert. Allein dass die Schneespinne eine so enge Beziehung zu den Nordmann pflegt, wie der Hund es mit den Menschen tut, kann ich als Hinweis vorweisen, dass dieser Prozess bereits begonnen hatte, bevor der Mensch ein Züchter wurde. Doch hier ist mehr Forschung vonnöten.
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Jedoch kann ich gute Erklärungen für eine andere Diskrepanz geben: Wenn die Schneespinne einen ähnlichen evolutionären Entwicklungsprozess wie der Hund durchgemacht hat, wieso hat sie nicht wie er sich in alle Winkel der Welt ausgebreitet? Dafür würde ich zwei Gründe als mögliche Antwort geben: Zum einen vermute ich, dass die Domestizierung der Schneespinne zwar deutlich früher als andere stattgefunden hatte, aber erst nach der des Hundes erfolgte, als der Mensch sich von Aphrike über Mora in die ganze Welt verbreitete. So dürfte der Hund bereits an seiner Seite gewesen sein, als er in die kalten Nordlanden Moras eindrang. Die Schneespinne musste sich mit einer Konkurrenz in dieser Nische an der Seite des Menschen messen.
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Zum anderen dürfte der stärkere Grund aber im Heimatklima der Schneespinne liegen: Sie ist hervorragend an die kalten Winter und milden Sommer des Nordens angepasst, kommt aber nicht mit hohen Temperaturen zurecht. Das gemäßigte Klima Mittelmoras ist zwar für Schneespinnen erträglich, doch ein besonders heißer Sommer mit Temperaturen über 30 Grad Cinobis kann ihnen gefährlich werden. Manche Besitzer schicken ihre Schneespinnen oftmals für eine Auszeit in den Norden. Es gibt sogar Vereine, die solche Sommerflüchte organisieren. Da ist nicht daran zu denken, eine Schneespinne hin zum Glühenden Meer zu bringen. Schneespinnen sind also nicht so flexibel bezüglich ihrer Anpassung wie Hunde. Aber vielleicht war dies auch ein Vorteil: Ihre Zähheit gegen über Eis und Schnee dürfte sie zu besseren Jagdgefährten für den nordischen Steinzeitmenschen gemacht haben als die mitgebrachten Hunde.
Admin - 11:10:08 @ Naturkunde | Kommentar hinzufügen
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