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Blogpost aus Mora


2025-02-14

Schulbesuch im Naturkundemuseum - Kapitel 1 - Teil 4

1
„Das alles haben Sie sich doch gerade nur ausgedacht!“ Es war eine bittere Stimme, welche die rege Atmosphäre der Neugierde durchstach und zusammenfallen ließ. Eine Stimme, deren Klang Brigit eiskalt den Rücken herunterbebte, denn gerade solch eine sollte nicht so bitter sein. Denn es war die sanfte, noch hohe Stimme eines Jungen, deren Süße von diesem bitteren Tonfall wie eine Frucht verdorben wurde. Die junge Miene zu dieser Stimme mutete nicht weniger bitter an und stach wie eine Klinge aus der Gruppe der Kinder heraus. Warum dieser Junge so blickte, sollte Brigit daran erkennen, dass nicht wenige der anderen Kinder aufstöhnten. Der Lehrer rollte sogar mit den Augen und ein Katzenmädchen sprach ohne Scheu aus, was sie alle wohl dachten: „Gabriel, niemand interessiert, was deine scheiß Bibel sagt.“ Das schallende Gelächter der Klasse verriet Brigit endgültig, was für eine Situation sie vor sich hatte: Dieser Junge, Gabriel, war wohl ein Christ. Und seine Familie gehörte wohl zu der lautstarken Sorte, die unentwegt ihre Glaubenssätze der Welt, vor allem gegenüber den „Heiden“, verkünden muss. Was im Fall dieses armen Jungen dazu geführt hatte, dass er ein Außenseiter in seiner Klasse war. Und dass Brigit als eine temporärere Autoritätsperson ihre nächsten Worte mit Bedacht wählen musste, um nicht zu dieser Ausgrenzung beizutragen.
2
„Das ist eine sehr harsche Anschuldigung, die du mir so darlegst“, erwiderte Brigit, mit aller Willenskraft versuchend ihren Schreck über diesen plötzlichen Stimmungsschwung hinter einem Lächeln und einem sanften Tonfall zu verbergen. „Was regte dich an, solch eine zu äußern, mein Lieber?“ „Ich bin nicht dein Lieber!“, giftete der Junge zurück. „Du elende Lügnerin!“ Er wedelte verächtlich mit seinen Armen. „Dinosaurier! Was für ein Unsinn! Solche Tiere hat es nie gegeben. Denn es kann keine Urzeit gegeben haben, wenn die Erde erst vor sechstausend Jahren von unserem allmächtigen Gott geschaffen wurde.“ Der Lehrer erhob seine Stimme, wohl eine Ermahnung ausstoßend, doch diese ging in dem scheußlichen Gelache der Klasse unter. Während die Lehrkraft versuchte, Ordnung unter die Kinder zu bringen, wusste Brigit nicht weiter, denn dies war die schlimmste Situation, die sie sich in der Nacht zuvor ausgemalt hatte: ein Kreationist, jemand, der einen Schöpfungsmythos vollkommen ernstnahm.
Die allermeisten Gläubigen und auch viele Christen verstanden ihre heiligen Texte und Überlieferungen nicht als wortwörtliche Berichte, sondern als Legenden für das göttliche Treiben vergangener Zeiten, weshalb Widersprüche zu wissenschaftlichen Erkenntnissen kein schwerwiegendes Problem darstellten. Als die Menschen damals ihre Mythen niederschrieben, mussten sie wegen ihres simpleren Verständnisses der Welt die übernatürlichen Geschehnisse mithilfe von Metaphern und Allegorien festhalten, weshalb es nahelag, dass sie für das heutige Verständnis uninformiert oder gar ignorant erschienen. Deshalb konnten die meisten Kulte mit der Zeit sich nach der anfänglichen Aufregung mit der Evolutionstheorie anfreunden. Aber eben nicht alle und jene Leute, die einer wortwörtlichen Interpretation ihrer Schöpfungsmythen zuliebe Wissenschaft leugneten, nannte man Kreationisten. Und wie in vielen Belangen, erwiesen sich die christlichen als die extremen. Wie sollte Brigit auf so etwas reagieren? Dem schwarzhaarigen Mädchen zuvor ging es allein um das Problem, die alten Mythen mit der neuen Wissenschaft in Einklang zu bringen, ohne das eine herabzuwürdigen. Ihr musste man nur eine Brücke zeigen. Doch was konnte man einem Jungen sagen, der glaubte, in eine Halle voller Lügen gekommen zu sein? Dass Wissenschaft angeblich nicht eine edle Suche nach der Wahrheit war, sondern eine Verschwörung, um das Wirken seines Gottes zu leugnen?
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Diese gewaltige Kluft in ihren Ansichten wusste Brigit nicht zu überwinden. Somit gelang ihr nicht mehr als ein schiefes Lächeln, als der Lehrer endlich seine Schützlinge zur Ordnung gerufen hatte. Sowie Gabriel fürchterlich ermahnte: „Noch eine weitere bodenlose Frechheit wie diese und du kannst den Rest der Führung draußen im Eingangsbereich verbringen.“ Der Junge erwiderte es mit einem trotzigen Blick und für einen Moment befürchtete sie, er würde es darauf ankommen lassen. Doch denn fügte er sich und ihr Dozent Herr Müllziege holte sie mit einem Räuspern aus ihrer Tatenlosigkeit: „Frau Haselbusch, ich denke, wir sollten zum nächsten Exponat übergehen. Sie haben schließlich den Kindern noch so viel zu zeigen und die Zeit beginnt zu drängen.“ „Oh, natürlich“, zuckte Brigit zusammen und winkte die Kinder zu sich entlang der Seite des Spinosaurus. „Kommt, meinen Lieben.“
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Irgendwie schaffte es Brigit, den Rest der Führung zu Ende zu bringen. Den Kindern noch ein paar weitere Dinosaurier zu zeigen, unter anderem den Archaeopteryx, den Urflügler. Erneut gelang es ihr, den Kindern eine verzaubernde Erkenntnis zu schenken, indem sie erklärte, dass dieser Urflügler das Zwischenglied zwischen den Dinosauriern und Vögeln darstellen könnte. Was wiederum bedeuten würde, dass die Gefiederten nahe mit den Drachen verwandt sein könnten, was auf allen Kindergesichtern großes Erstaunen hervorrief. Bis auf eines, welches nur bitterer wurde.
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Diese stetig präsente Bitternis sorgte dafür, dass Brigits ermüdete Seele drohte, aus einem ihrer Ohren zu rutschen, als sie in den Pausenraum eintrat. Wo sie der Duft eines frisch eingegossenen Kaffees erwartete. Rasch entdeckte sie eine dampfende Tasse an ihrem Platz am Tisch und stellte ermutigt fest, dass es ein Milchkaffee war, genauso wie sie ihn mochte. „Danke“, sagte sie zu ihrem Geliebten Petrus mit einem erstarkenden Lächeln, während sie sich setzte. Sofort ergriff sie die Tasse und pustete den Kaffee etwas umher, um ihn abzukühlen. „Du hast es gut gemacht“, lobte Petrus, worauf sie schwach giggelte: „Oh, trotz all dem Flunkern?“ „Nun, das Ende missfiel mir tatsächlich sehr“, gestand Petrus mit den Schultern zuckend. „Doch du kennst meine Meinung dazu, also will ich nicht darauf herumreiten. Denn sonst war es einfach phänomenal, wie du die Aufmerksamkeit der Kinder einfingst.“ „Bis auf die des einen“, hauchte Brigit ihre Frustration heraus, bevor sie sich einen Schluck von dem Kaffee gönnte. Der ihr gegenübersitzende Siegfried ergriff nun ebenfalls das Wort, wobei sein goldbrauner Schwanz umherschwenkte: „Lass es dir nicht zu tief ins Herz stechen, Brigit. Es ist schlichtweg Pech, solch einen kleinen Fanatiker im Publikum haben zu müssen. Du hättest ihm alles von unserem Studium erzählen können, es hätte nichts gebracht. Solche Kinder haben bereits von ihren Eltern den Kopf mit Dogmen abgefüllt bekommen, da hilft liebes Zureden nicht allein. Dieser Gabriel ist schlichtweg verkorkst.“ „Siegfried, so sollten wir nicht über einen Jungen denken“, entfuhr es Brigit erbost. „Es ist doch unsere Aufgabe, diese Kinder aus der Ignoranz hin zu der Erkenntnis zu locken.“
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„Auch wenn ich Ihre Entschlossenheit sehr bewundere, Frau Haselbusch, …“, verkündete Professor Müllziege sein Eintreten. „… und auch wenn ich Herrn Goldschmitts Wortwahl rügen muss, so muss ich aber ihm Recht geben. Dieser Junge ist für uns ein hoffnungsloser Fall. Es war gut, dass Sie sich nicht auf seine ungeheuerlichen Worte eingelassen hatten und stattdessen Ihre wunderbare Führung zu Ende brachten.“ Von ihrem Dozenten hätte Brigit solche Worte als letztes erwartet, weshalb sie protestierte: „Aber Professor Müllziege! Wir wollen den Kindern doch etwas beibringen. Deshalb habe ich wir uns doch freiwillig dafür gemeldet.“ „Das Problem ist aber, Frau Haselbusch, dass dieser Junge sich nichts beibringen lassen will“, erwiderte der Dozent, um den Tisch herumschreitend, genauso, wie er es während des Vortragens im Hörsaal stets tat. „Meine Wortwahl soeben war etwas ungünstig. Mit hoffnungslos meinte ich natürlich nicht, dass der Junge nicht irgendwann einmal aus seinen starren Ansichten befreit werden kann. Doch man wird das bei ihm nicht mit einem und auch nicht mit drei Führungen erreichen können.“ „Hätte ich es aber trotzdem nicht versuchen sollen?“, beharrte Brigit, worauf der Satyr sie mitleidig ansah: „Hätte dies denn aber wirklich etwas erreichen können? Sicher hättest du den Rest deiner Zeit darauf verschwendet, nur um deine Mühen zwecklos an dem harten Dogma dieses Kindes abprallen zu sehen. Stattdessen aber konntest du dich auf die neugierigen Gemüter konzentrieren, die wahrhaftig zum Nachdenken anregende Antworten haben wollten.“ Geschlagen nippte Brigit von ihrem Kaffee, denn so sehr es sie schmerzte, sie musste ihrem Dozenten Recht geben: Es wäre ungerecht gegenüber den anderen Kindern gewesen, sich auf eine fruchtlose Diskussion mit dem Jungen einzulassen. Trotzdem behagte es ihr überhaupt nicht, jemanden, vor allem so jung, als hoffnungslos abzustempeln, selbst wenn es nur spezifisch für diese Situation galt.
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Ihr Unbehagen blieb niemanden verborgen. Petrus legte ihr die Hand auf die Schulter, seine Finger sanft über ihren Hals streichen lassend: „Ich weiß, dass es dir schwerfällt, doch lass es dir nicht zu nahegehen.“ „Dann bist du also einer, der einfach klein beigibt?“, meinte auf einmal Siegfried, sie beide überraschend. Petrus’ Finger hielten inne: „Willst du damit andeuten, dass du den guten Rat unseren Dozenten in den Wind schlagen willst?“ „Mehr, dass ich Brigit Recht gebe. Wir sollten nicht aufgeben, einer jungen Seele etwas beizubringen, nur weil sie etwas störrisch ist“, erklärte sich der Katermann. „Ich schere mich schließlich um Kinder.“ Brigit spürte, wie Petrus’ Finger sich verkrampften, nicht genug, um ihrem Hals wehzutun, aber dafür deutlich die Verärgerung ihres Geliebten zum Ausdruck bringend. In ihr selbst regten sich gemischte Gefühle. Zwar erleichterte es sie ein wenig, nicht allein zu stehen, doch ihr war nicht entgangen, dass Siegfried zuerst auch den Jungen links liegen lassen wollte. Sein Sinneswandel kam sicher nur wegen seines Verlangens daher, ihrem Geliebten eines auszuwischen. Warum auch immer, denn Brigit hatte noch immer nicht herausfinden können, warum diese beiden Männer sich so sehr gegenseitig anfeindeten. Ein tiefes Runzeln verband die Hörner auf Professors Müllzieges Stirn: „Ich will Ihnen nicht vorschreiben, wie Sie Ihre Führung gestalten, Herr Goldschmitt. Achten Sie bitte nur auf die Zeit.“ „Keine Sorge“, wackelte Siegfried selbstsicher mit seinen Ohren. „Ich will nur etwas an dem Dogma rütteln.“

Der nächste Teil der Geschichte wird in zwei Wochen, am 28. Februar 2025, veröffentlicht.

Admin - 08:42:26 @ Naturkunde, Erzählung | Kommentar hinzufügen

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