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Blogpost aus Mora


2025-05-23

Schulbesuch im Naturkundemuseum - Kapitel 3 - Teil 3

1
„Moment, wenn laut Ihnen aber verschiedene Tiere ähnliche Merkmale haben können, ohne einen gemeinsamen Vorfahren zu teilen …“, wunderte sich das Mädchen mit dem rabenschwarzen Haar, welches zuvor mit den Widersprüchen zwischen Mythos und Sage gehadert hatte. „… wie können wir dann sichern sein, dass wir mit diesen Riesen verwandt sind? Vielleicht sehen die nur wie fette Menschen aus, weil sie in einer ähnlichen Umwelt wie wir aufwuchsen?“ Petrus musste angesichts dieser klugen, wenn auch etwas plump ausgedrückten Frage schmunzeln: „Anhand dessen, wie viele Gemeinsamkeiten zwischen zwei Arten existieren. Auch wenn Riesen mit den Elefanten einen kräftigen Knochenbau, klumpige Füße und generell einen massigen Leib teilen, so sind sie dem Menschen in vielerlei Hinsicht ähnlicher.“ „Wie denn?“ „Zum einen teilen sie natürlich wie auch die Trolle unseren aufrechten Gang“, erklärte Petrus und er deute hoch auf die Armknochen des Riesens. „Womit ihre oberen Gliedmaßen frei sind und dementsprechend wie wir mit Händen bestückt sind. Welche, wenn ihr genau hinseht, dieselben Handknochen wie die unseren haben. Außerdem sind Riesen wie wir Sohlengänger …“ Seine Hand wies nach unten. „… was bei Elefanten nicht der Fall ist. Denn die sind Zehengänger, etwas was man zugegebenermaßen wegen der Fußpolster nicht sehen kann. Neben den äußerlichen Ähnlichkeiten ist da zudem noch die hohe Intelligenz der Riesen. Sie sind schließlich, vom Menschen abgesehen, die einzige Art, die eine Sprache erlernen kann, wenn auch nur in sehr rudimentärer Form.“
2
„Trolle aber nicht“, erwiderte Gabriel, diesmal sich nicht brav meldend. „Und trotzdem würden Sie sagen, dass wir auch mit denen verwandt sein sollen, nicht wahr?“ Petrus, wohl ahnend, worauf der Junge hinauswollte, nickte, worauf dieser fies grinste: „Das klingt aber sehr danach, als würde Sie selbst einfach entscheiden, wann zwei Arten miteinander verwandt sind.“ Sehr zu Petrus Ungemach murmelten die anderen Kinder zustimmend, was Frustration in ihm nährte. Allerdings mit sich selbst, nicht mit den Kindern. Zuerst erklärt er ihnen, dass geteilte Merkmale nicht zwangsläufig eine Verwandtschaft bedeuten mussten, nur um dann eine andere Verwandtschaft eben mit geteilten Merkmalen zu erklären. Eigentlich wollte er nur darauf hinaus, dass Riesen, Menschen und auch Trolle viel mehr gemeinsame Merkmale als solche mit anderen Tieren hatten, doch diese Auflistung würde Stunden dauern und die Kinder mit komplizierten Konzepten konfrontieren, mit denen er selbst als Student kämpfte. Das kam aber eindeutig nicht bei den Kindern an und er überlegte hastig, wie er dieses Problem lösen könnte.
Ihm fiel nichts ein, doch da kam ihm seine Walküre zur Hilfe. „Es ist tatsächlich so, dass man die Verwandtschaft von verschiedenen Arten festlegt. Auch wenn es überhaupt nicht einfach ist“, meldete sich Brigit plötzlich zu Wort, etwas verlegen mit ihren blonden Locken spielend, während sie in die Halle eintrat. „Naturforscher sehen sich verschiedene Arten an und versuchen anhand von Gemeinsamkeiten und Unterschieden sie auf dem Baum des Lebens zu platzieren. Du wunderst dich aber nun, woher man weiß, wie ähnlich sich Arten sein müssen, damit sie nahe verwandt sind.“ Gabriel sah sie verkrampft an, vermutlich wegen seines Ausfalls zuvor, diesmal aber bejahte er es knapp. Worauf Brigit strahlend lächelte, keinerlei Missgunst ausdrückend: „Die Wahrheit ist, dass niemand es genau weiß. Deshalb debattieren Wissenschaftler sehr viel darüber, welche Art mit welcher verwandt ist oder wer welchen Vorfahren hat und oftmals muss der Baum des Lebens umgeschrieben werden, um neuen Kenntnissen gerecht zu werden.“
3
Petrus hätte sie küssen können, denn sie löste das Problem, indem sie es schlichtweg eingestand. „Dies ist etwas, was ihr sogar hier in diesem Saal sehen könnt“, übernahm er dankbar Brigits Gesprächsfaden, wobei sie ihn mit einem Augenklimpern anspornte. Er deutete auf die Linie des Menschen: „Das leuchtende Skelett hinter dem modernen Menschen ist das eines Hundsklippers, ausgegrabenen in dem Hundsklipptal in Gotland.“ „Unser Vorfahre!“, entfuhr es aufgeregt dem Fuchsmädchen, worauf Petrus sagte: „Das denken zumindest viele Wissenschaftler. Doch es gibt auch welche, die diese Hypothese bezweifeln und eher denken, dass er nur ein naher Verwandter des modernen Menschen ist.“ „Und wer hat nun Recht?“, wunderte sich das Fuchsmädchen, wobei ihre Ohren verwirrt umherzuckten. „Dies wird sich noch herausstellen müssen“, offenbarte Petrus ihr. „Indem weitere Skelette ausgegraben und untersucht werden, um sie anschließend zu erforschen und über sie zu debattieren. Indem altes Wissen mit neuer Evidenz ergänzt oder gar widerlegt wird.“ „Aber damit gestehen sie doch ein, dass ihr Wissen über die angebliche Evolution falsch sein könnte“, entfuhr es Gabriel mit einem Tonfall, der mehr verwirrt als triumphierend klang. Petrus gestand es offen ein: „Wissenschaft gibt keine Gewissheit. Denn wie das Wort an sich verrät, geht es um das Schaffen von Wissen. Doch neues Wissen kann nur aus Evidenz gewoben werden, indem man eingesteht, dass das, was man zuvor glaubte, unvollständig oder sogar falsch gewesen war.“
4
„Aber … aber …“, stotterte Gabriel, wahrhaftig mit Petrus’ Worte ringend. „Wenn Sie sich überhaupt nicht sicher sind, wie können Sie dann wagen, blöde Dinge zu behaupten, wie, dass wir mit Affen, Riesen, Trollen und Ghuls …!“ Die Lippen des Jungen erstarrten kurz, nur um dann vor Zorn zu zittern: „Warum steht dieses Scheusal neben uns, dem Menschen?“ Petrus erlaubte sich einen inneren Seufzer, als alle Blicke der Klasse sich auf den Ghul im Raum richteten. Selbst der Lehrer blickte irritiert drein. Aber warum sollte er nicht, wenn selbst derjenige, der für diese Anordnung der Skelette verantwortlich war, mit dieser einen Darstellung zu hadern schien. Denn das Skelett des modernen Menschen stand nicht wie seine nächsten Verwandten einfach nur am Ende seiner Linie, sondern war in einem Hinaufschreiten einer kleinen Stufentreppe eingefroren, in seiner knöchernen Rechten einen Speer mit einer stumpfen Stahlspitze haltend. Direkt hinter ihm, in seinem Schatten, hingegen kniete der Ghul in seinem typischen Knöchelgang, was vor allem seine überlangen Armknochen betonte. Der Blick des Ghulschädels war nach oben hin zu der Wirbelsäule des Menschen gerichtet, wobei die deutlich größeren Augenhöhlen einen heimtückischen, neidischen Blick entsandten, unterstrichen von der primitiven Steinaxt, die von unheimlich langen Fingern verschwörerisch gehalten wurde. Auf den ersten Blick war es ersichtlich, dass der Kurator Mensch und Ghul distanzieren wollte, indem er den Menschen als etwas Höheres, weiter Entwickeltes präsentierte, während der Ghul trotz der Gemeinsamkeiten ein gemeines Tier darstellte, animalisch bösartig in seiner Natur. Dies missfiel Petrus sehr, denn das nährte den unter Laien sehr verbreiteten Irrglaube, dass Evolution ein zielgerichteter Prozess war, mit den hochintelligenten Menschen als ihre Krönung. Man also die Evolution einfach in eine neue Göttin der Schöpfung uminterpretierte, da man wohl nie übernatürlichen Unsinn draußen vorlassen konnte.

Der nächste Teil der Geschichte wird in zwei Wochen, am 06. Juni 2025, veröffentlicht.

Admin - 08:02:43 @ Naturkunde, Erzählung | Kommentar hinzufügen