2025-10-23
1
Allein den schweren Atem des stolz lächelnden Berserkers konnte man für einige Momente vernehmen, während er die Überreste des Vampires vor sich eines letzten Blickes würdigte. Dann drehte er sich um, was die Gefangenen aufschrecken ließ. Dem widmete er keine Beachtung und bewegte stattdessen den Kopf umher, intensiv riechend, wie seine flatternden Nasenlöcher verrieten. „Die Leere ist nicht mehr hier“, verkündete er letztendlich, was die Nonne, welche bislang dem Ganzen mit angespannter Wachsamkeit beigewohnt hatte, zur Tat schreiten ließ.
2
„Du brauchst dich nicht mehr zu fürchten, mein Kind“, sprach Sanguine, den Samt ihrer Stimme flickend, während sie sich zu der armen Frau herabbückte. „Du bist jetzt unter der Wacht der Diener Gottes.“ Doch die Furcht weigerte sich aus den geplagten Zügen der Frau zu weichen und ein Blick dieser, d zuerst auf die blutdurchtränkte Robe der Nonne fiel und dann zu dem blutüberströmten Barbaren hinter ihr wanderte, verriet laut, warum. Einen Seufzer unterdrückend verstand Sanguine, dass Worte nach den Taten ihres „Partners“ verblassten, sodass sie selbst tatkräftig werden musste. Mit einer geschwinden Bewegung griff sie der armen Frau an die rechte Schulter, die Handfläche direkt auf die Schnittwunde legend, welche der Berserker ihr so beiläufig zugefügt hatte. Die Frau schreckte zurück, nur um dann mit Erstaunen den zerschnittenen Stoff ihres verschmutzten Bauernkleides wegzuziehen, um heile Haut zu offenbaren. Dem folgte sogleich ein Erschrecken, als sie bemerkte, dass eine Stelle der Robe der Nonne, welche bislang unbefleckt blütenweiß gewesen war, nun von frischem Blut durchtränkt wurde.
3
„Sie sind eine Heilige!“, entfuhr es der Frau. „Eine Märtyrerin! Dann hat Gott uns wahrhaftig nicht verlassen!“ Es wärmte Sanguines Herz, zu sehen, wie Hoffnung in den Leib der armen Frau einkehrte. „Aber warum sind Sie hier zusammen mit solch einem Barbaren?“, verstand die Frau nicht. „Mit einem Heiden?“ „Es ist Gottes Wille“, erwiderte Sanguine, worauf der Berserker brüllend hinzufügte: „Weil all eure Christenmänner Memmen sind! Niemand, der Manns genug ist, um sich mit einem Vampir anzulegen.“ Einen weiteren Seufzer unterdrückend merkte Sanguine noch an: „Gottes Wege sind unergründlich.“ Sie verschwieg, dass diese auch dementsprechend sehr schwer zu begehen waren. Oder dass zumindest eine unwidersprechbare Wahrheit in den Worten des Berserkers mitschwang. Welche auch den Grund darstellte, warum ihr Orden sich auf die Barbaren einließ.
4
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Frau keine weiteren Verletzungen plagten, widmete sie sich dem Mann, dem der Berserker das Handgelenk gebrochen hatte. Sie wollte diese vorsichtig ergreifen, doch der Mann zog sie weg, wobei er wegen dem Schmerz zusammenzuckte. „Ich danke für Ihre Fürsorge, doch ich bin in Ordnung“, erklärte er mit einem gequälten Lächeln. „Sie müssen meinetwillen nicht noch mehr ertragen.“ Doch Sanguine duldete keine Widerrede und ließ sie nicht einmal erklingen, indem sie einfach das gebrochene Handgelenk ergriff. Was sie spürte, verstärkte nur ihr Bedenken, dann es war die raue Haut eines hartarbeitenden Mannes, die eines Bauern oder Handwerkers. Somit war dieser Mann also jemand, der, sobald er in die Freiheit entlassen wurde, wieder für sein tägliches Brot schuften musste. Eine gebrochene Hand käme damit einem Hungerurteil gleich. Diesmal konnte Sanguine nicht einen Laut des Schmerzes unterdrücken, der sich mit dem Brechen ihres eigenen Handgelenkes reimte. „Sie hätten das nicht tun müssen“, flüsterte der Mann beschämt, doch als er Sanguines feste Miene sah, hauchte er noch hinzu: „Danke.“ „Es ist mein Los, auferlegt von Gott“, erwiderte Sanguine aufstehend. Innerlich musste sie ihre gesamte Willenskraft aufbringen, damit ihre Züge nicht verrutschten. Schnittwunden taten ihr kaum noch weh und auch das Verschließen der Wunden juckte nur. Doch Brüche schmerzten ihr noch sehr und das Gefühl ihrer sich durch das Fleisch regenden, sich wieder zusammenfügenden Knochen fühlte sich furchtbar an. So furchtbar, dass sie nicht anders konnte, als der Sünde des Zorns anheimzufallen. Zumindest wusste sie aber, während die Finger ihrer unverletzten Hand das Holz ihres Stabes festdrückten, diesen gegen den wahren Schuldigen zu richten: „Es wäre sehr in Gottes Sinne, wenn du dein Werk verrichten könntest, ohne die Unschuldigen zu schmerzen, Woldemar.“ „Und es wäre sehr in meinem Sinne, wenn du das mit dem Keuschheitsgelübde noch einmal überdenken würdest“, erwiderte der Berserker ihre beherrschte Stimme nachäffend, bevor er ein dreckiges Grinsen aufsetzte. „Ich bin dir gern bei einem Sinneswandel behilf…“
5
Bonk. So klang es, als das Lamm auf dem Kopfende von Sangunines Stab dem Berserker einen unsanften Kuss gab. Es war kein sonderlich starker Schlag gewesen, vor allem, da der Pelz des als Helm getragenen Bärenkopfes die Wucht weiter abmilderte. Doch es beinhaltete genügend Eindeutigkeit, dass der Berserker verstummte, sich den Kopf haltend. Sanguine, beschämt, aber nun auch etwas erleichtert, vervollkommnete ihre selige Beherrschung, wobei ihr Blick auf den Arm des Berserkers fiel, wo sein Blut sich zu dem des Vampires gesellte. „Dein Arm“, forderte sie ihn auf, worauf dieser nur meinte: „Nicht notwendig, meine Liebe, ein wahrer …“ Bonk. „Deinen Arm, sofort“, donnerte Sanguine. „Es würde Gottes Plan zuwiderlaufen, wenn du verdammter Narr zu Boden gehst, weil du zu viel Blut verlierst.“ ‚Und weil wir dich brauchen‘, lautete der Gedanke, den Sanguine niemals laut äußern würde. Denn eher küsste sie den Teufel, als dass sie zugab, dass das Talent Woldemars und anderer Berserker, dank ihres animalischen Geruchsinns, noch weiter verstärkt durch den Pilzsud, den falschen Schmerz von Vampiren herausriechen zu können, unersetzlich wertvoll war. Während Sanguine dem Berserker seine Wunden abnahm, musste sie sich zudem insgeheim eingestehen, dass Woldemar immer richtig gelegen hatte. Immer fand er den Vampir und auch wenn er dabei vielen Unschuldigen wehtat, er hat nie aufgrund eines Irrtumes eine unbescholtene Seele getötet. Etwas, was Sanguine leider nicht über all ihre Templerbrüder im Orden verkünden konnte.
Der nächste Teil der Geschichte wird in zwei Wochen, am 07. November 2025, veröffentlicht.
Admin - 07:24:34 @ Erzählung, Fiktion in Fiktion | Kommentar hinzufügen
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